Vorstellungen
Filmkritik
Eine junge Frau stapft mit ihren zwei Kindern angestrengt durch den tiefen Schnee, bis sie zu einem Wald gelangt. Dort sägt sie umständlich einen Weihnachtsbaum ab und schnallt ihn nur unzureichend auf ihrem Autoanhänger fest. Auf der Heimfahrt wird sie plötzlich vom eigenen Anhänger überholt, und dann landet der Weihnachtsbaum mit Karacho im Schaufenster der örtlichen Lokalzeitung. Der Ton ist gesetzt, die Tücke des Objekts verortet den Film der Regisseurin und Drehbuchautorin Miia Tervo zunächst als Komödie. „Neuigkeiten aus Lappland“ spielt in einem kleinen Kaff im finnischen Lappland des Jahres 1984. Niina, so der Name der jungen Frau, kann als arbeitslose, alleinerziehende Mutter die Fensterscheibe nicht ersetzen. Darum heuert sie als Reporterin bei der Lokalzeitung an, um ihre Schulden zu begleichen – sehr zum Unwillen des Chefredakteurs Esko. Denn eigentlich ist überhaupt nichts los in dem Ort, und negative Geschichten will Esko seinen Lesern nicht zumuten.
Doch dann meint Niina einen lauten Knall gehört zu haben. Kurz darauf treffen Soldaten ein – ausgerechnet in dem Hotel, wo Niinas Schwester Kaisa ihre Hochzeit feiert. Ist im Eis etwa eine russische Rakete abgestürzt? Die Hinweise verdichten sich, doch die Militärs schweigen beharrlich, zumal die konfliktscheuen Lappländer von einer atomaren Bedrohung nichts wissen wollen. Immerhin gibt es den attraktiven Jet-Piloten Kai, der ein wenig mehr wissen könnte.
Die Grenze zu Russland als Hort der Unsicherheit
Eine Geschichte direkt aus Zeiten des Kalten Krieges, die durch den Nato-Beitritt Finnlands 2023 aktuelle Bezüge erhält. Finnland hat eine 3000 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Russland, einem übermächtigen, unberechenbaren Nachbarn – ein ständiger Hort der Unsicherheit, vielleicht der Gefahr, die Probleme erscheinen unlösbar. Aber vielleicht ist die eine oder andere Grenzverletzung auch nicht so gravierend. Die Neutralität, die Finnland während des Eisernen Vorhangs jahrzehntelang schützte, beschreibt Regisseurin Tervo darum auch als Verdrängungsprozess. Ein Problem, das niemand zur Kenntnis nimmt, gibt es auch nicht.
Darum ist Niina hier der weibliche Don Quixote, der gegen Windmühlen ankämpft. Naiv, aber engagiert, vorsichtig, aber hartnäckig, recherchiert sie weiter. Die Zurückweisung, die sie ständig erfährt, wandelt sie in konstruktive Empörung um. Denn hier geht es nicht nur um die Suche nach der Wahrheit, sondern auch um die Selbstbestimmung einer Frau, die sich in einer ablehnenden Männerwelt behaupten muss. Plötzlich ist der Film auch keine Komödie mehr: Der Ex-Ehemann, soeben aus dem Gefängnis entlassen, will wieder bei Niina einziehen, das macht er unmissverständlich deutlich. Die Themen um häusliche Gewalt, Geheimnistuerei der Verantwortlichen und drohenden Jobverlust verleihen dem Film eine Ernsthaftigkeit, die die Probleme – trotz aller Konfliktscheu der Dorfbewohner – beim Namen nennt.
Eindeutig in den 1980er-Jahren verortet
Dabei ist „Neuigkeiten aus Lappland“ eindeutig in den 1980er-Jahren verortet. Die unvorteilhaften Vokuhila-Frisuren von Esko und Niinas Ex-Ehemann sind an Hässlichkeit kaum zu überbieten. Einmal schießt Niinas Vater auf ein Radio, in dem Modern Talkings „You’re My Heart, You’re My Soul“ läuft, ein anderes Mal ist „Enola Gay“ von Orchestral Manœuvres in the Dark zu hören. Eine große Bedeutung kommt auch der winterlichen Landschaft zu, deren Schönheit etwas Betörendes hat. Dass es hier zu einer Katastrophe kommen könnte, möchte man kaum glauben.