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Mülheim Texas - Helge Schneider Hier und Dort

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Helge Schneider ist definitiv das, was man einen wahren Allroundkünstler nennt. Als Komiker, Musiker, Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler konnte er sich über die Jahre als fester und einzigartiger Bestandteil der deutschen Humor-Landschaft etablieren.
In seinen zahlreiche Bühnenshows, Alben und Kinofilmen verbindet er sein künstlerisches Talent mit anarchischem Klamauk, bei dem stets Improvisation eine wesentliche Rolle spielt. Mit ihrer Dokumentation über den vielseitigen Jazz-Liebhaber liefert Regisseurin Andrea Roggon einen Einblick in Helge Schneiders Alltag. Dabei beleuchtet sie nicht nur die außergewöhnliche Karriere des Künstlers, sondern auch sein wendungsreiches Leben, dessen einzelne Stationen Roggon durch das übergeordnete Thema der Reise miteinander verknüpft. Angefangen hat alles 1955 in Mülheim an der Ruhr…

Eigentlich dürfte es diesen Film gar nicht geben. „Von dem, was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich“, sagt Helge Schneider einmal. Warum sollte Helge Schneider wider die eigenen Interessen handeln? Andererseits: Wer aber spricht diesen Satz? Helge Schneider oder „Helge Schneider“? Der kreative Helge hat über Jahrzehnte mit viel Konsequenz eine ziemlich komplexe Kunstfigur „Helge Schneider“ geschaffen, die es ihm ermöglicht, die Grenze zwischen beiden Figuren tendenziell aufzuheben. Allerdings nicht in Richtung einer irgendwie verbindlichen Authentizität. Wenn Helge also über Helge sagt, dass es Dinge gibt, die die anderen von Helge nicht unbedingt wissen müssen, dann ist das natürlich eine Steilvorlage für einen Film, der genau diese Geheimnisse zu lüften versucht: Wie sieht der echte Schneider hinter Helge aus? Wie viel Helge steckt in Schneider und wie viel Schneider in Helge? Die Filmemacherin Andrea Roggan hat diese Herausforderung angenommen, aber nur Helge könnte letztlich sagen, wie gut sie ihren Job gemacht hat. Denn im Film hat es den Anschein, als habe Helge Schneider seine Zusage mitzutun erst bedauert und anschließend entschieden, das Projekt durch entschiedenen Widerstand so zu hintertreiben, dass Helge und „Helge“ wie Zwillinge erscheinen – und gleichermaßen künstlich. Mitunter verblüfft die resultierende „Aufzeichnung der Kampfzone“, wenn etwa Schneider von der Filmemacherin nach seinem Freiheitsbegriff befragt wird und kess antwortet: „Freiheit muss man sich nehmen!“ Aufsteht und den Raum verlässt. Roggan hat sich davon nicht schrecken lassen und hat einfach weitergedreht, hat Impressionen gesammelt: Schneider vor dem Computer, Schneider beim Paddeln auf der Ruhr, Schneider beim unfallträchtigen Traktorfahren auf seinem Grundstück, Schneider beim Faxenmachen in Spanien, Schneider in der Open Air-Badewanne, Schneider bei der Arbeit im Studio oder Schneider bei der Arbeit mit Alexander Kluge, wo Schneider als „Helge“ noch diverse andere, weitere Rollen durchaus listenreich spielt. Weil das alles vielleicht unterhaltsam ist, aber nicht gerade erkenntnisfördernd und weil Roggan aus unerfindlichen Gründen keine Dritten zu Schneider befragen wollte, flüchtet sie schließlich ins Archiv und präsentiert exemplarische Etappen von Helge Schneiders Karriere als singende Herrentorte, als Jürgen Potzkothen in „Johnny Flash“ (fd 26 675) und schließlich in jener Schlüsselszene aus „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“ (fd 30 546), in der Doc Snyder sich sturköpfig dem erwartbaren Genre-Happy End verweigert: „Och nö, lass mal lieber!“ Schließlich erlebt man Schneider auch noch bei der Arbeit mit der Band als einen Perfektionisten, der von seinen Mit-Musikern höchste Konzentration verlangt, damit sie beim „spontanen“ Fehlermachen keine richtigen Fehler machen. Wer schon einmal das fragwürdige Glück hatte, eine Helge Schneider-Show an zwei aufeinanderfolgenden Abenden zu besuchen, wird eh mit dem Wort Improvisation künftig vorsichtiger umgehen. So gerät „Mülheim – Texas. Helge Schneider hier und dort“ gewissermaßen zur Helge-Version einer Homestory bei Helge Schneider. Viel näher als dieser Film wird man Helge Schneider wohl nicht kommen. Ob man dieses Spiel mitspielt, muss jeder selbst entscheiden. Chilly Gonzales, der auch schon ein Konzert gemeinsam mit Helge Schneider gespielt hat, erzählte in einem persönlichen Gespräch einmal, dass manche Künstler ganz und gar unsympathisch erschienen, bis man ihnen persönlich begegne und sie sich als äußerst liebenswert zeigten. Im Falle von Helge Schneider sei das anders gewesen: der erste Eindruck habe sich vollkommen bestätigt. Ein ernüchternder Befund, den Roggans Film untermauert.

Veröffentlicht auf filmdienst.deMülheim Texas - Helge Schneider Hier und DortVon: Ulrich Kriest (4.8.2025)
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