- RegieLouise Detlefsen
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2021
- Dauer96 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 0
- IMDb Rating8.2/10 (0) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Am Anfang steht der Abschied von Rita. Alle erweisen ihr die letzte Ehre und stoßen auf sie an. In einem blumengeschmückten weißen Sarg ist sie noch einmal bei ihnen. Wer hier geht, geht für immer; freie Zimmer sind schnell wieder belegt.
Die Pflegerinnen kommen zusammen, um über die Neuzugänge zu sprechen: Torkild und Vibeke. Vibeke ist schwer dement, ihr Mann Torkild dagegen noch relativ fit. Aber er hat Probleme damit, seinen Zustand und seine Krankheit zu akzeptieren. Den beiden wird im Heim ein herzliches Willkommen bereitet. Torkild ist am ersten Tag beim Frühstück ziemlich genervt von seiner neuen Umgebung, doch dann lacht er – seine nette Tischnachbarin verwickelt ihn in ein Gespräch; sie selbst lebt hier mit ihrem dementen Mann, mit dem sie sich kaum noch unterhalten kann.
Die neue Gemeinschaft scheint nicht nur Vibeke gut zu tun, auch Torkild profitiert davon. Seine Ausfälle kann er dank seines Charmes und seiner großväterlichen Autorität ganz gut überspielen, doch schon das Anziehen eines Mantels wird zum Problem.
Es gibt viele Möglichkeiten, den Tag zu gestalten, aber niemand wird zu etwas gezwungen. Gemeinsame Spaziergänge führen in die Umgebung, man trifft sich zum Spielen oder zum Fernsehen. Zu den Mahlzeiten treffen sich alle an einer großen Tafel. Es gibt häufig Anlässe zum Feiern, dann wird nach Kräften getrunken, geredet und gelacht. Der nächste Abschied, das nächste Willkommen – ein Jahr ist schnell vorüber.
Freude, Spaß und Genuss
Scheinbar beiläufig wird in „Dagmarsminde“ vom Pflegekonzept berichtet. Die Gründerin May Belle Eiby nahm die schlechten Pflegeerfahrungen mit ihrem dementen Vater zum Anlass, um selbst eine Einrichtung zu schaffen, in der das Mitgefühl und die „Umsorgung“ bei der Betreuung von Demenzkranken im Mittelpunkt stehen – außerdem jede Menge Kuchen und Wein. Freude, Spaß und Genuss sollen auch im Leben der Demenzkranken nicht zu kurz kommen. Auf sedierende Medikamente wird weitgehend verzichtet. Die Pflegekräfte nehmen sich viel Zeit, sie hören zu, sprechen leise und gänzlich ohne die bevormundende Autorität, die sonst oft den Dialog zwischen Pflegekräften und Heiminsassen dominiert.
Viele kleine Gesten zeugen von der Aufmerksamkeit, die den Bewohnern entgegengebracht wird. Immer wieder gibt es Berührungen und Umarmungen, die wertschätzend und liebevoll sind. Die alten Menschen sind weitestgehend autonom. Sofern sie dazu in der Lage sind, kümmern sie sich selbst um ihre Körperpflege und um die Nahrungsaufnahme.
In den Teambesprechungen wird deutlich, wie viel Aufwand hinter diesem Pflegekonzept steckt, das ohne zusätzliche finanzielle Mittel auskommt. Das Leben der Bewohner scheint beinahe paradiesisch zu sein, doch Konflikte werden im Film ebenso wenig ausgespart wie interne Auseinandersetzungen, etwa, als es darum geht, dass eine Bewohnerin Nahrung und Wasser verweigert. Vielleicht möchte sie sterben? Der Respekt vor ihr gebietet, dies zu akzeptieren. Doch ist sie noch in der Situation, selbst darüber zu entscheiden?
Es zählt der jeweilige Augenblick
Auch wenn im Mittelpunkt alte, kranke Menschen stehen, geht es im Film mehr um das Leben als um den Tod. Hier zählt der Moment: die kleinen Freuden, das gute Gefühl, nicht allein zu sein, miteinander zu lachen und zu feiern, der spontane Genuss. Es werden Berge von Kuchen vertilgt, und der Alkohol scheint reichlich zu fließen.
Diese Konzentration auf den Augenblick ist eigentlich eine gute Idee – wer mit älteren Menschen zu tun hat, weiß, dass ihnen jede gute Minute im Hier und Jetzt wichtiger ist als die Zukunft. Eigentlich ist es also eine naheliegende Idee, sich mehr um Lebensqualität, Aufmerksamkeit und die Gemeinschaft zu kümmern als um Medikamente oder eine generelle Ruhigstellung der Pflegebedürftigen.
Damit geht es grundsätzlich auch um große Fragen, vor denen sich viele so lange wie möglich drücken: Wie wollen wir alt werden? Wie selbstverständlich sind eigentlich Mitgefühl und Menschlichkeit, wenn der liebevolle Umgang der Pflegekräfte mit den Bewohnern im Film schon als etwas Besonderes erscheint? Und wie gehen wir selbst mit Krankheit, Alter und Tod um?
Funken tanzen ums Feuer
Ganz ohne Kommentare, ohne Talking Heads und Interviewsituationen entwickelt Louise Detlefsen ihren berührenden, nie rührseligen Film, der dem Lauf der Jahreszeiten folgt. Scheinbar beiläufig werden Torkild und Vibeke zu Protagonisten. Vor allem mit Torkild lernt man „Dagmarsminde“ mit seinen Bewohnern und Pflegerinnen kennen sowie einige Hintergründe, etwa die konsequente Umsetzung der AEDL-Regeln nach Krohwinkel.
„Mitgefühl“ ist aber kein Lehrfilm für Pflegekräfte, obwohl er sicherlich dafür geeignet wäre, denn hier wird hoch professionell und mit großem persönlichen Einsatz gearbeitet. Man könnte den Dokumentarfilm als Appell verstehen: für einen zugewandten, respektvollen Umgang mit Menschen, auch mit Kranken und Alten, die ebenso ein Recht auf Lebensfreude haben wie alle anderen. Die Bildgestaltung von Per Fredrik Skiöld unterstützt mit sensiblen und taktvollen Aufnahmen von den Bewohnerinnen und Bewohnern den würdevollen Charakter der Darstellung. Einige ruhige Naturaufnahmen strukturieren den Film unauffällig. In ihnen spiegelt sich der Kreislauf des Lebens – das ewige Werden und Vergehen. Am Ende sitzen alle um ein großes Feuer, das langsam niederbrennt. Bald sprühen nur noch ein paar Funken, die schließlich einer nach dem anderen erlöschen.