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Filmkritik
Für das Erzählen der eigenen Biografie sah sich die Avantgarde-Künstlerin Maria Lassnig Zeit ihres Lebens selbst zuständig. 1992 entstand mit dem achtminütigen Film „Maria Lassnig Kantate“ (in Zusammenarbeit mit Hubert Sielecki) ein biografischer Film der anderen Art. Vor gezeichneten animierten Hintergründen lässt Lassnig in wechselnden Kostümen singend die wichtigen Stationen ihres Lebens Revue passieren. Angefangen von der schmerzhaften Kindheit in Kärnten und dem Erwachen als Künstlerin über den Besuch der Kunstakademie und die Zeit in Paris und New York bis hin zu ihrer Ernennung als Professorin. Der kauzige Humor und das Collagenhafte, die den Film auszeichnen, finden sich auch in „Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz wieder.
Auf den Spuren des biografischen Genres
Salomonowitz hat sich mit hybriden Filmen einen Namen gemacht, die dokumentarisches Material in Szene setzen und verfremden. Etwa in „Dieser Film ist ein Geschenk“ (2019), einem Porträt des Assemblage-Künstlers Daniel Spoerri. Darin ließ die Regisseurin ihren Sohn Erzählungen und Handlungen des Künstlers nachspielen. „Mit einem Tiger schlafen“, der nach dem Titel eines Gemäldes von Lassnig aus dem Jahr 1975 benannt ist, folgt trotz diverser Verfremdungseffekte – das Durchbrechen der vierten Wand, surreale, performative und dokumentarische Elemente –, hingegen gewissen Gesetzmäßigkeiten des biografischen Genres: historische Settings, die Erzählung wichtiger Lebensstationen (obgleich weitgehend non-linear und elliptisch), eine Schauspielerin (Birgit Minichmayr), die Maria Lassnig nicht nur verkörpert und zeigt, sondern auch spielt im Sinne von Einfühlung, Nachahmung, Repräsentation. Dem Illusionismus werden jedoch Grenzen gesetzt.
Minichmayr ahmt Haltungen, Gesten und Mimik von Lassnig nach und „kärnert“ ordentlich, sie spielt die Figur jedoch äußerlich unverändert: von der jungen, um Anerkennung kämpfenden Malerin bis zur sichtbar gebrechlichen Künstlerin, die in ihren letzten Lebensjahren mit zahlreichen Ausstellungen geehrt wird. Der Erfolg kommt viel zu spät; froh macht er Lassnig nicht mehr.
Film mit feministischer Agenda
„Mit einem Tiger schlafen“ ist auch ein Film mit klar feministischer Agenda. Er erzählt, was es bedeutet, als Künstlerin in einer patriarchalen Kunstwelt ständig übertönt und übersehen zu werden. An der Seite ihres Lebensgefährten Arnulf Rainer bekommt Lassnig die Repressionen und Ausschlüsse bitter zu spüren; bei einem Termin mit einer Galeristin wird sie zur Übersetzerin des aufstrebenden Künstlers degradiert.
Zentraler Schauplatz des Films ist das Atelier. Vom eigentlichen Malakt aber ist wenig zu sehen. Stattdessen sieht man Lassnig mit geschlossenen Augen vor der leeren Leinwand sitzen, sie krümmt ihren Körper halb auf dem Bildträger liegend oder verzieht den Mund zu Grimassen, um sich in Empfindungen hineinzufühlen, die sich auf den fertigen Bildern als deformierte Körper, Fratzen, Mutationen manifestieren. Lassnigs Interesse galt der Sichtbarmachung von Körperwahrnehmungen; ein Prinzip, das sie „Body Awareness“ nannte. Auch der Film denkt die Figur stark vom Körper aus. Gleich im ersten Bild ist die Rückenansicht der Künstlerin zu sehen. Sie zieht ihre Schultern hoch, spannt sie zu kleinen Flügeln.
Anders als die meisten biografischen Filme über Künstler:innen befasst sich „Mit einem Tiger schlafen“ ausführlich mit der künstlerischen Praxis. Passagen aus Interviews, in denen Lassnig über den Körper oder über ihren „Farbsinn“ spricht, werden in Dialogzeilen eingewoben. Salomonowitz trägt Lassnigs Ideen aber auch auf andere Weise in die Filmwelt, etwa wenn sich die expressive Farbigkeit der Bilder in den wild gemusterten Pullovern und Trainingsanzügen der Künstlerin fortsetzt. Die Fiktion wird dabei immer wieder zugunsten der Wirklichkeit aufgebrochen. Etwa wenn die Fotografin Elfie Semotan die Film-Lassnig porträtiert und in einer anschließenden Interviewszene ihre Erinnerung an die echte Begegnung teilt. Oder wenn der Mitarbeiter eines Auktionshauses zu Wort kommt und von der „historischen“ Versteigerung eines Lassnig-Gemäldes berichtet.
Lassnigs Gemälde vor weißem Grund
Diese Öffnungen ins Dokumentarische werden jedoch nur angerissen und sind zu beliebig, um sich zu einer autonomen Form zu verdichten. Ähnlich verhält es sich mit Lassnigs Gemälden, die als formatfüllende Abbildung auf weißer Fläche die Spielhandlung für einen jeweils kurzen Moment unterbrechen. Sie stehen weniger für sich, treten vielmehr als Beweisstücke des eben Gesehenen auf. Am Ende beschneidet der Film die Freiheiten, die er sich nimmt, selbst.