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Filmkritik
Es geht nicht um das schrittweise Zeichnen. Der Drache, den der Maler Katsushika Hokusai für einen betuchten Auftraggeber zu Papier bringen soll, muss vielmehr als Ganzes erfahren werden. So erklärt es Hokusai seiner Tochter O-Ei, während er sich an die Arbeit macht. Doch dann wird das beinahe fertiggestellte Bild durch ein Missgeschick zerstört. O-Ei bleibt nur eine Nacht, um das Werk neu zu zeichnen. Ein Windstoß fährt durch das Haus, eine riesige Tatze erscheint am Nachthimmel. Und am nächsten Morgen ist es vollbracht. Ein gewaltiger, sich windender Drache ziert das Blatt. Wie schon in „Summer Days with Coo“ (2007) gehen auch in diesem Anime von Keiichi Hara Realität, Mythos und Magie Hand in Hand. Die Form des Zeichentricks eignet sich wunderbar, um die Grenzen des Realen so spielerisch zu überschreiten und auch das Fantastische, eigentlich Unsichtbare fließend in das Geschehen einzubinden. Auch an anderer Stelle beschwört der Film die heilende Kraft der Kunst, wenn durch die Veränderung eines Gemäldes eine Frau von einem Fluch befreit wird. In Szenen wie diesen findet „Miss Hokusai“ einen schönen poetischen Zugang, um über die Entstehung und Wirkung von Kunstwerken zu erzählen. Hara wählt eine besondere Sichtweise, weil er in der Adaption der Manga-Reihe „Sarusuberi“ von Hinako Sugiura nicht den berühmten Maler, sondern Hokusais Tochter O-Ei ins Zentrum stellt, über die kaum etwas bekannt ist. Doch man vermutet, dass sie vor allem in der Spätphase maßgeblich an den Werken ihres Vaters beteiligt war. Das Anime zeigt sie als kantige junge Frau, die durch ihr für die japanischen Verhältnisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts überraschendes Selbstbewusstsein auffällt. Der Film kommentiert ihren ersten Auftritt mit einer rockigen Musikuntermalung. Doch „Miss Hokusai“ fällt nicht allzu rebellisch und dynamisch aus. In unterschiedlichen Kontexten versucht der Film das Rätsel der jungen Frau zu ergründen. Er begleitet sie bei Ausflügen ins Rotlichtviertel, wo sie sich von den Gesichtern der Frauen für ihre Bilder inspirieren lässt und später erste sexuelle Erfahrungen sammelt. Er zeigt unbeholfene Begegnungen mit Männern, Konflikte mit dem Vater, und beleuchtet ihre Beziehung zu ihrer blinden Schwester O-Nao. Während der Vater O-Nao in seinem Bestreben nach Perfektion verstoßen hat, kümmert sich O-Ei liebevoll um die Jüngere – und schärft dadurch unbewusst ihre Sinne. In den Szenen zwischen O-Ei und O-Nao spielt Hara seine ganze Stärke aus. In prächtigen Farben fangen die detaillierten Hintergrundbilder den Lauf der Jahreszeiten ein, eine dichte Geräuschkulisse bestimmt die Tonspur, bisweilen zitiert die Bildgestaltung die berühmten Bilder von Hokusai und schickt O-Ei und O-Nao in einem kleinen Boot aufs von großen Wellen aufgepeitschte Meer. Die Beschränkungen der „limited animation“, in der die Bewegungen nicht so flüssig sind und die Hintergründe oft statisch bleiben, versteht „Miss Hokusai“ geschickt zu überspielen. Zum großen Problem wird jedoch der episodische Stil, der dem Aufbau der Manga-Vorlage geschuldet ist. Unentschlossen schwankt die Handlung zwischen Vater-Tochter-Verhältnis, Familiendrama, Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau und willkürlich gestreuten weiteren Episoden. Von allem fließt etwas in den Film ein: vom Frauenbild jener Zeit, von der Kunstreflexion, vom Zeitbild der japanischen Gesellschaft am Ende der Edo-Zeit, als Japan sich vom Rest der Welt noch abgeschottet hatte. Alle diese Momentaufnahmen mögen zwar Hokusais Werken nahestehen. Aber am Ende bleibt das Gefühl, dass der Film das eigentlich Spannende in der Entwicklung von O-Ei gerade nicht erzählt. Damit ähnelt „Miss Hokusai“ eher einem Puzzle als einem Gemälde. Die künstlerische Einheit, die zu Beginn beschworen wird, kann Hara trotz bemerkenswert schöner Bilder selbst nicht einlösen.