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Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Für viele Schriftsteller gibt es nichts Schlimmeres als dauerhafte Erfolglosigkeit. Manchen - sehr wenigen - geht es genau umgekehrt: Die werden von ihrem Erfolg verfolgt wie von einem Fluch. Beispielsweise von einer Serienfigur, die der süchtigen, unersättlichen Leser wegen, einfach nicht das Zeitliche segnen darf. Paul Sheldon kennt solche Rücksichten nicht. Er will sich endlich einmal an richtiger Literatur versuchen und wegkommen von den Schmökern, die man als Trivialliteratur bezeichnet. Also bringt er Misery Chastain, die Heldin, die ihn zum Bestseller-Autor machte, einfach um. Der Preis, den er dafür zahlt, ist hoch. Die unverantwortliche Tat kostet ihn fast das Leben, denn sein größter Fan, seine glühendste Verehrerin zwingt ihn nun, Misery in einem neuen Buch wieder zum Leben zu erwecken, und die Methoden, die sie dabei anwendet, sind nicht eben zimperlich.
"Misery" (in der deutschen Ausgabe umgetitelt zu "Sie") ist eins der wenigen Bücher von Stephen King, das seinen makabren Schrecken ohne Phantastereien entfaltet. Alle, die mitspielen, sind aus Fleisch und Blut; alles ist real, wirkliches Leben, wie schon in "The Body" ("Die Leiche"), der - nicht nur an King gemessen - sensiblen Erzählung von den vier Jungen, die bei einem Ferienausflug erstmals mit dem Tod konfrontiert werden. Wieder fühlte sich Rob Reiner, offenbar selbst ein begeisterter King-Leser, bemüßigt, den Stoff ins Kino zu bringen. Nur dürfte die Verfilmung von "Misery" Probleme aufgeworfen haben, die sich bei "Stand by me - Geheimnisse eines Sommers", der Adaptation der erwähnten Erzählung, nicht stellten. Das Abenteuer der Jungen ist alltäglich, "Misery" dagegen, das Duell Fan versus Autor, ein Konstrukt, schon in der Anlage. Selbst in den USA wird man lange nach Lesern suchen müssen, die derart besessen und bis zur Lebensabhängigkeit mit ihrer Lieblingslektüre verwachsen wie diese Annie Wilkes. Da ist einiges Geschick nötig, um das Gerüst überzeugend abzudichten.
Das fängt beim Schauplatz an. King verlegt die Geschichte in die unwegsamen Berge von Colorado - dort hat Sheldon, wie jeden Winter, an seinem neuesten Manuskript gesessen. Ein fürchterlicher Schneesturm zur rechten Zeit, der den Schriftsteller mit einem schweren Unfall an der Abreise hindert, bringt ihn in das Haus der Krankenschwester, die ihn aus dem Wrack befreit und fürs erste von der Außenwelt abschottet. So hat die liebe Annie zunächst einmal alle Zeit der Welt, den schwerverletzten Sheldon zu verarzten, zu bemuttern, in Ruhe das letzte Buch ihres Idols zu lesen - und aus allen Wolken zu fallen. Auch was diese unberechenbar zwischen Furie und Fürsorgerin schwankende Gestalt angeht, die ihren Pflegling als Geisel nimmt, hat King Vorarbeit geleistet: Annie, so findet Paul im Laufe der Monate seiner Gefangenschaft heraus, hat als Krankenschwester schon einmal unter dem Verdacht des Säuglingsmordes gestanden. Diese Geschichte mit Paul ist also keine vorübergehende Manie, bei ihr im Kopf stimmt es schon seit längerem nicht mehr.
Im übrigen aber obliegt es der Regie, eine weit hergeholte Ausgangslage zu einem stimmigen Psychothriller auszuspinnen. Rob Reiner läßt sich viel Zeit mit der Zuspitzung. Am Anfang ist nur großäugiges Staunen über seine absonderliche Lage bei dem Mann, der mit mehrfach gebrochenen, blauverschwollenen Beinen mit Panoramablick auf die Berge im Bett liegt. Dann kommt die Verunsicherung über die resolute Pflegerin. Dann das Gefühl des Ausgeliefertsems, die Angst, schließlich Fluchtversuche und Gegenwehr, soweit möglich. Was an physischer Bewegung fehlt, fehlen muß, versucht Barry Sonnenfeld mit seiner suggestiven Kameraarbeit wettzumachen: immer wieder extreme Brennweiten, Zooms auf die Gesichter, Nahaufnahmen von Nebensachen, die urplötzlich lebenswichtige Bedeutung erhalten, eine Haarnadel zum Beispiel. Und immer wieder das Zimmer. Wenn Paul es zum erstenmal verläßt, kennt man es längst aus allen Perspektiven. Wo die Bilder nicht mehr reichen, greift Reiner auf die bewährten Mittel filmischen Suspense zurück: ein Wettlauf mit der Zeit - während Paul eine heimliche Erkundung unternimmt, kehrt seine Bewacherin zurück -, Bedrohung/Hoffnung durch eine Nebenfigur, hier durch den alten, liebenswürdigen Sheriff Buster, der, als alle Welt den Erfolgsautor längst für tot hält, seine Spur aufnimmt. Busters - im Buch bestialisches - Ende wird im übrigen von Reiner zu einem "normalen" Mord abgemildert, wie überhaupt der Film die wenigen blutrünstigen Momente der Vorlage nach Möglichkeit entschärft. Erst als der Patient wider Willen seine Pflegerin von eigenen Gnaden erschlägt, fließt reichlich Blut.
Das Makabre überwiegt die Marter in "Misery", der Galgenhumor ist immer gegenwärtig in diesem Zweikampf, der mit allen Mitteln ausgetragen wird. James Caan hat die eindeutig leichtere Rolle dabei, er kann sich mit verquältem Lächeln und schicksalsergebenem Schulterzucken begnügen. Es ist an Kathy Bates, die psychologischen Thrills herauszukitzeln, die Dämonen anzudeuten, die in ihrem verwirrten Geist herumspuken, und zugleich doch Zurückhaltung zu wahren. Ihr füllig-kindliches Gesicht ist dafür denkbar geeignet - eine Unschuldsmiene, die sich in Sekundenschnelle zur Fratze verzerrt; ob dieser Auftritt allerdings wirklich eines "Oscars" würdig war, sei dahingestellt. Rob Reiner jedenfalls hat einmal mehr eine redliche, filmisch überzeugende Stephen-King-Verfilmung zustandegebracht, die freilich nicht die gleiche Begeisterung auslösen kann wie "Stand by me". Bleibt doch immer ein bißchen das Gefühl, daß dem Zuschauer da ein ordentlicher Bär aufgebunden werden soll.