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Filmkritik
Im Juni 2010 feierte „Despicable Me - Ich einfach unverbesserlich“ seine Weltpremiere auf dem Filmfestival in Annecy. Der Trickfilm des gerade gegründeten Illumination Studios wurde frenetisch gefeiert und seine beiden Regisseure Pierre Coffin und Chris Renaud brachen auf der Bühne in Tränen aus. Die Geschichte um den egoistischen Oberschurken Gru, der aufgrund unkontrollierbarer Umstände plötzlich zum Supervater von drei Waisenkinder mutiert, stammte aus der Feder des spanischen Animators Sergio Pablos. Den entscheidenden Kick der sympathisch-genialen Geschichte aber lieferte der französische Trickfilmer Pierre Coffin, der die gelben Minions hinzufügte und ihnen auch Form, Stimme und Sprache gab.
Zwölf Jahre, drei finanziell höchst erfolgreiche Sequels und zahlloser Kurzfilme später erlebte das zweite Prequel „Minions – Auf der Suche nach dem Superschurken“ seine Weltpremiere ebenfalls in Annecy. Diesmal allerdings mit weit weniger Applaus und deutlich reduziertem Gelächter, aber immer noch mit Guter-Laune-Garantie.
Kein Schurke fällt vom Himmel
Die Story von „Minions – Rise of Gru“, so der Film im Original, knüpft ans Ende des ersten Prequels „Minions“ an. Man schreibt die 1970er-Jahre. Die Minions haben sich beim jungen Gru eingerichtet und versuchen ihn bei der Verwirklichung seines Lebenstraums zu unterstützen: der größte Superschurke der Welt zu werden. Sein Ego wird allerdings von seiner dominanten Mutter untergraben, aber auch von seinen verständnislosen Mitschülern. Grus große Vorbilder, die Gangmitglieder von „Vicious 6“, der bedeutendsten Verbrecherbande der Gegenwart, haben just ihre Anführer Knuckles ausgebootet und suchen einen Nachfolger. Gru bewirbt sich um diesen Posten und stiehlt bei dieser Gelegenheit auch ein magisches Amulett. Das macht ihn zum meistgesuchten Schurken der Welt, der überdies von Knuckles gekidnappt wird. Die Minions Stuart, Bob, Kevin und Otto starten daraufhin eine großangelegte Rettungsaktion, die alle Beteiligten nach San Francisco und die Stadt selbst in die Katastrophe führt.
Alle bisherigen Filme der Reihe haben einen schwierigen Spagat zwischen der Geschichte des Superschurken und der hilfsbereiten Welt der Minions versucht, was immer etwas überkonstruiert wirkte und keiner der beiden Seiten ganz gerecht wurde. In „Minions – Auf der Suche nach dem Superschurken“ führt das erneut zu hinreißend komischen Momenten, etwa der Entführung eines Flugzeugs zur Melodie von „An der blauen Donau“ oder dem Missbrauch eines Akupunktur-Patienten als Waffe in einem Gesundheitssalon in Chinatown. Dennoch lassen sich die Abnutzungsspuren der Filmreihe nicht übersehen, da man das Gefühl nicht loswird, alles schon einmal gesehen zu haben. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass die Minions sich hervorragend für das klassische Kurzfilmformat a la Tom & Jerry eignen („Banana“!); eine Story über 90 Minuten zu stemmen, ist aber nicht gerade ihre Sache.
Allerdings erreicht auch die Gru-Knuckles-Beziehung keine emotionale Tiefe, um den Film nachhaltig zu erden und beide Seiten effektiv zusammenzubinden. Vieles bleibt Stückwerk, wirkt beliebig und vor allem nicht lustig. Das mag auch daran liegen, dass sich der Minion-Erfinder Pierre Coffin von der kreativen Seite zurückgezogen hat, auch wenn er den Figuren im Original noch seine Stimme leiht.
Das Illumination Studio aber setzt weiterhin auf die kommerziell lukrative Franchise-Idee: In zwei Jahren soll eine weitere Fortsetzung der „Despicable Me“-Reihe in die Kinos kommen. Doch das Studio muss aufpassen, dass es nicht in die „Ice Age“-Falle hineinläuft und die erlöschende Strahlkraft seines Franchise maßlos überschätzt.
Der Umgang mit „Cartoon Violence“
Wirklich problematisch ist dabei aber der Umgang mit Gewalt. „Cartoon Violence“, wie das im Fachjargon genannt wird, ist im Trickfilm eine fantastische Kunst. Egal, ob der arme Coyote, einem Sisyphus gleich, den Roadrunner jagt und dabei tausend lustige Tode stirbt oder ob Bugs Bunny und Daffy Duck, Sylvester und Tweetie und all die anderen immer wieder aufeinander krachen: sie haben Generationen von Zuschauern zum Lachen gebracht. Denn „Cartoon Violence“ hat keinerlei weitreichende Konsequenzen und der vom Amboss geplättete Zeichentrick-Körper ploppt nach ein, zwei Sekunden wieder ohne Nachwirkungen ins alte Leben zurück, wo die Jagd munter weitergeht. Und doch versteht jedes Kind und jeder Erwachsene die Metapher über Rückschläge, Fehleinschätzungen und Misserfolge im eigenen Leben.
Doch bei „Minions – Auf der Jagd nach dem Superschurken“ gibt es gleich in den ersten Minuten einen merkwürdigen, zutiefst verstörenden Verstoß gegen die Regeln der „Cartoon Violence“: Bei einer Konfrontation mit der Polizei schlägt die neue Anführerin der Vicious Six mit ihrem Motorrad bewusst eine Polizeiwagentür zu und klemmt dabei absichtlich die Hand eines Polizisten ein. Es folgt ein Umschnitt ins Innere des Autos, wo man die eingeklemmten Finger sogar von innen sieht. Das aber ist keine „Cartoon Violence“, kein visueller Gag, sondern schlicht und einfach brutal. Hier tut jemand einem anderen absichtlich weh! Dass den Machern dieser unschöne Fauxpas unterlief, spricht für eine Schlampigkeit, die für diese Art von Mainstream-Blockbuster eher untypisch ist.