Vorstellungen
Filmkritik
Plötzlich stand das fremde Kind im Garten. „Wie hingezaubert“, staunt die Mutter Edith (Susanne Wolff). Doch ihre Tochter Skalde (Mathilde Buntschuh) weiß um die Regeln der Gemeinschaft, die gegen alles Fremde sind. Bevor das Kind, das von Ediths Hütehunden dennoch sofort wohlgelitten ist, von den anderen bemerkt und seine Anwesenheit negativ sanktioniert werden könnte, bringt Skalde das Kind kurzerhand in den Wald zurück, wo es wohl hergekommen ist. Das Kind kann sich daran nicht erinnern. Es spricht von einer verbrannten Ebene und lässt sich nicht wieder aussetzen. Skalde und ihre Mutter beschließen deshalb, das Kind bei sich aufzunehmen, obwohl sie wissen, dass sie im Dorf damit anecken.
Mit bestechender Naturfotografie
Die Regisseurin Sophia Bösch hat sich bei ihrer Verfilmung des gleichnamigen dystopischen Romans von Helene Bukowski dafür entschieden, dessen Thematik einer Klimakatastrophe im Hintergrund zu belassen und sich stattdessen auf eine abgeschottete Gemeinschaft zu konzentrieren, die sich von außen bedroht fühlt. Gleichfalls hat sie sich dafür entschieden, das Leben in dieser Gemeinschaft atmosphärisch als „Frontier“ zu zeichnen. Was einerseits Post-Apokalypse sein könnte, könnte andererseits auch eine alt gewordene Kommune von Selbstversorgern sein, die mit Gewehren bewaffnet und mit Trucks ausgerüstet einen Lebensraum zwischen der verbrannten Ebene und dem nahegelegenen Fluss bewirtschaften.
Man ist also gehalten, sich selbst einen Reim auf die Regeln, Ideologien und Ängste in dieser Welt zu machen, die mit einer bestechenden Naturfotografie in Szenen gesetzt ist. Doch nach dem Auftauchen des Kindes ereignen sich mysteriöse Dinge. Vieh wird gerissen, Hunde nehmen Reißaus, Kinder verschwinden. Als ein notorischer Säufer neben einem Kadaver aufgegriffen wird und sich nicht erklären kann oder will, wird ihm zur Strafe mit großer Selbstverständlichkeit eine Hand zerschmettert. Erst später bemerkt man, dass auch Edith eine solche Verletzung hat. Sie ist in der Gemeinschaft eine Außenseiterin geblieben, während ihre Tochter Skalde sich für die Anpassung entschieden hat.
Variationen weiblicher Solidarität
Mit dem Kind, das sich selbst als Wolf charakterisiert, kommt Dynamik in die ohnehin fragile und latent gewaltträchtige Ordnung. Skalde ringt dem betont bedeutsam auftretenden Dorfvorsteher Pesolt (von Ulrich Matthes durchaus komisch, aber kontraproduktiv als Paradoie angelegt) das Zugeständnis ab, mit einer Entscheidung über dessen Schicksal zu warten, bis sich die Identität des Kindes geklärt hat. Die zeige sich nämlich erst, wenn die Milchzähne ausfallen.
Bei aller Vagheit widmet sich „Milchzähne“ episodenhaft allerlei Variationen von weiblicher Solidarität und männlicher Gewaltbereitschaft, die sich immer zuspitzen und auf eine, allerdings früh vorhersehbare Konfliktlösung hinauslaufen.
Was anfangs noch als formal ausgesprochen mutige Entscheidung zur Reduktion durchging, erweist sich auf Filmlänge dann doch als entschieden zu wenig. Es fehlt den Figuren an Kontur, es mangelt an Spannung, und auch die Kritik an den Beschränkungen der Gemeinschaft fällt verhalten aus, die als „irgendwie recht bedrohlich“ erscheinen will, aber letztlich dann doch nur hilflos und mürrisch wirkt.
Jenseits des Flusses
Etwas mehr Naturmystik hätte dem Film eine andere Perspektive eröffnet. So aber ist nur klar, dass diese gerontokratische Gemeinschaft keine Zukunft mehr hat, weshalb die Einsichtigen unter den Jüngeren instinktiv ihr Heil in der Flucht suchen. „Milchzähne“ ergeht es deshalb ähnlich wie den Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall, auch jenseits des Flusses.