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Filmkritik
Den Realitätswert von Pedro Almodóvars dick aufgetragenen Kinofantasien aus der Perspektive beispielsweise Tarkowskijschen Tiefsinns abzuwägen hieße, die Modekollektionen etwa eines Jean-Paul Gaultier - dessen abenteuerliche Kreationen Almodóvars Film "Kika" (fd 30 706) prägten - auf deren "Tragfähigkeit" im Alltag zu testen. Der exzessive Mikrokosmos des exzentrischen Manchego jedoch will in seiner raffiniert naiven Abkehr vom tumben "De Profundis"-Getue vermeintlich zeitgemäßer Kollegen zunächst kaum mehr als ein modernes Märchen sein: aufregend, erotisierend und unlogisch, hübsch ausstaffiert und arrangiert zu einem vergnüglichen Spiel um Schein und Sein menschlicher Schwächen. Diese madrilenische Melange, die weit über die Landesgrenzen hinaus zu seinem Markenzeichen wurde, kennzeichnet auch "Mein blühendes Geheimnis" (eigentlich: Die Blume meines Geheimnisses). Und dennoch: In seinem elften Spielfilm scheint manches anders zu sein. Weniger schrill, dafür desto nachsichtiger, um nicht zu sagen "menschlich" gereifter, vergleichbar vielleicht den "seriösen" Wandlungen des späten Woody Allen. Gewiß agiert auch hier wiederum der bekannte Kreis comicartiger Charaktere an zumeist haarsträubend verflochtenen synthetischen Handlungsfäden, die - vorsätzlich - einer nüchternen Nacherzählung spotten sollen.
Wie seine vorausgegangenen Hausfrauenkomödien dreht sich dieses Acht-Personen-(Pop-)Drama um die Nervenkrise einer Frau mittleren Alters. Leo, noch immer attraktiv, lebt allein in ihrer luxuriösen Madrider Wohnung und kann die Erinnerung an ihren Partner Paco nicht abstreifen. So wenig wie das beengende Schuhwerk, ein Geschenk des Geliebten, der sich inzwischen längst ins Ausland versetzen ließ. Leo ist der pseudo-literarischen Lebenslügen überdrüssig, die sie seit zwei Jahrzehnten unter dem wohlgehüteten Pseudonym Amanda Gris en masse und mit vertraglich vorgeschriebenem Happy-End zu produzieren hat. Inkognito bewirbt sie sich bei einer großen Tageszeitung und erhält als ersten Auftrag ausgerechnet die Rezension der eigenen Amanda-Gris-Anthologie. Zur Verwunderung des Redakteurs Angel, insgeheim ein leidenschaftlicher Verehrer der Bestsellerautorin, bricht die eigentlich längst erloschene Beziehung nach brutalem Streit endgültig auseinander. Leos verzweifelter Versuch, sich mit einer Überdosis Beruhigungstabletten das Leben zu nehmen, geht nur dank einem glücklichen Zufall glimpflich ab. Sie folgt ihrer vor Leos rigider Schwester Rosa aus Madrid geflohenen Mutter aufs Land. An ihrer Seite Angel, dem sie ihr "Geheimnis" in einer schwachen Stunde offenbarte und der nun Amanda Gris' rosarote Traumwelt erfolgreich fortschreibt - derweil deren einst verworfener "realistischer" Romanentwurf unverhofft verfilmt werden soll.
Ein Gemisch fataler Folgen menschlicher Unvollkommenheiten, zusammengewürfelt und präsentiert wie eine bunte Paella, über deren Qualität die Zubereitung mindestens so entscheidet wie die pikanten Zutaten - und über deren Geschmack (bzw. Geschmacklosigkeiten) sich streiten läßt. Almodóvar-Fans sollten vor allem in den extrem pointierten (Neben-)Szenen mit Rossy de Palma (als schlagfertige Rosa in streitbarer Haushaltsgemeinschaft mit der halbblinden Mutter) sowie der flamenco-fiebrigen Haushälterin und deren herumlungerndem Sohn (der Leos verworfenes Manuskript erfolgreich verhökert) auf ihre Kosten kommen. Dasselbe läßt sich vom üppigen Dekor und Design sagen, als Spiegel voyeuristischer Innenwelten vorzugsweise im Rot-Blau-Styling. Eine Augenweide sind auch Leos extravagante Auftritte in glamouröser Garderobe, die nicht von ungefähr das "Bigger-Than-Life"-Flair vergangener Hollywood-Heroinen verströmen. Die schillernde Oberfläche spiegelt zugleich aber auch die seelischen Tiefs in allen Facetten bis hin zu "echtem" Schmerz, und die an ihrer schizophrenen Doppelexistenz scheiternde Heldin streift gelegentlich gar ein Hauch tragischen Schicksals (beispielsweise im überwältigenden Abschied von Paco, der Schlüsselszene des Films). Zugespitzt wird das häusliche Psychodrama auf die aktuelle Weltpolitik projiziert, wenn sich Leo als das eigentliche Opfer des Krieges im fernen Bosnien sieht, wohin Paco zu einer militärischen Friedensmission dem lästigen Ehekrieg entfliehen will. Freilich wird die tragikomische Stimmung solcher Augenblicke sofort wieder gebrochen, wie denn der Zuschauer sich seines Eindrucks angesichts dieser schemenhaft wuchernden Scheinwelt nie ganz sicher sein kann. Darauf stimmt bereits die Exposition ein, in der Betty allem Anschein nach den Leichnam ihres soeben verstorbenen Sohnes zur Organspende freigeben soll - bis sich die Filmkamera zurückzieht und einen größeren Bezugsrahmen zeigt, in dem diese Szene vor laufendem Monitor nunmehr als Teil eines psychologischen Trainingsprogramms erscheint. Mit derartigen - zuweilen recht makabren - Späßen und gezielten Regelverstößen schwebt das filmische Vexierspiel zwischen Lug und Trug und läßt damit das Interesse an einer herkömmlichen Gesellschaftsanalyse hinter sich: "Realität gehört verboten", heißt es dazu lapidar im Dialog.