- RegieEsther Niemeier
- Dauer90 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
Filmkritik
In der Wüste stehen große Fabrikanlagen; die Grenze zu den USA ist hier immer gegenwärtig. Die benachbarte texanische Stadt El Paso ist über vier Brücken erreichbar und durch einen Grenzzaun getrennt. „Luchadoras“ erzählt von drei Frauen im Norden Mexikos, die in einer der gefährlichsten Städte der Welt leben. Ciudad Juárez, mit knapp eineinhalb Millionen Einwohnern, wurde durch die hohe Anzahl an Frauenmorden bekannt. Das begann schon vor Jahrzehnten; die Opfer, die verschleppt, vergewaltigt und ermordet wurden, sind bis heute zumeist unterbezahlte Arbeiterinnen aus den Fabriken.
In einer Region der Gewalt
Der Film beginnt mit den schweigenden Frauen, die oft stundenlang im Bus durch die Wüste zur Arbeit fahren. Eine Stimme aus dem Off erzählt von einer jungen Frau, die auf der Rückfahrt von der Arbeit zusammengeschlagen und vergewaltigt wurde. Sie überlebte wie durch ein Wunder, wagte es aber nicht, ihrer Familie davon zu erzählen. Denn viele Arbeiterinnen haben Angst. Das Klima in der Region und der Stadt ist gewalttätig; der bewaffnete Macho ist das vorherrschende Leitbild in einer Gesellschaft, die vom Krieg zwischen den Drogenkartellen und dem Staat oder der Gewalt gegen Immigranten auf dem Weg in die USA geprägt ist.
In einer ständig steigenden Gewaltspirale sind Frauen Opfer männlicher Aggressionen; viele verschwinden einfach so, und von den Morden, die bekannt werden, lassen sich meist auch keine Täter ermitteln; der mexikanische Staat scheint sich dafür kaum zu interessieren. Aber „Luchadoras“ erzählt auch von aktivem Widerstand. Die Fotografien der in der Wüste verschwundenen Frauen sind im Straßenbild von Ciudad Juárez allgegenwärtig, und Demonstrantinnen skandieren: „Lebend habt ihr sie uns genommen und lebend wollen wir sie zurück.“
Vor diesem sozialen und politischen Background skizzieren die gebürtige Venezolanerin Paola Calvo und ihr Co-Regisseur Patrick Jasim die Geschichte von drei starken Frauen, von Lady Candy, Mini Sirenita und Baby Star. Alle drei sind Mütter und erfolgreiche Kämpferinnen der „Lucha Libre“, der mexikanischen Form des Wrestlings. Das ist eine Mischung aus Sport und Unterhaltung, bei der das Publikum applaudiert, sich ausschimpft und lautstark kommentiert. Ein Spektakel, das laut und brutal wirkt, aber auch elegant ist, bei dem sich Frauen mit Frauen prügeln, aber auch Männer gegen Frauen kämpfen, an den Haaren ziehen oder mit geschicktem Körpereinsatz durch die Luft auf die Matte werfen.
Drei Frauen im Ring
Lady Candy, Mini Sirenita und Baby Star sind die Künstlernamen der „Luchadoras“. Sie sind erfolgreich im Ring, aber sie möchten weg aus Ciudad Juárez, wobei jede auch ihre persönlichen Gründe hat. Lady Candy ist 23 Jahre alt und verdient sich ihr Geld in einem Bestattungsunternehmen. Sie wurde selbst schon Opfer häuslicher Gewalt. Ihr Mann hat sie wiederholt geschlagen und ist dann mit den gemeinsamen Töchtern nach Texas gezogen. Seit einem halben Jahr hat Lady Candy ihre Kinder nicht mehr gesehen. Jetzt spart sie für ein Visum, um zu ihren Töchtern zu kommen.
Die kleinwüchsige Mini Sirenita, mit über 40 die älteste der drei Frauen, will den schlechten Arbeitsverhältnissen in der Fabrik entkommen. Sie will nach Mexiko-Stadt gehen und dort als Luchadora Karriere machen. Ihre Tochter ist längst erwachsen und hat selbst eine Tochter. Von ihrer Mutter und der ganzen Familie wird sie bei ihren Plänen unterstützt.
Baby Star hat hingegen noch eine kleine Tochter, an der sie sehr hängt. Aber auch sie zieht es in die Hauptstadt, wo sie ihre Profi-Karriere als Luchadora ausbauen will. Sie stammt aus einer Lucha-Libre-Dynastie; auch ihr Vater war schon ein prominenter Kämpfer. Baby Star kam vor Jahren nach Ciudad Juárez, verliebte sich und wurde schwanger. Eine sportliche Karriere ist für sie als alleinerziehende Mutter nicht so einfach.
Der Tod ist immer präsent
„Luchadoras“ zieht von den ersten Bildern an in eine dunkle Atmosphäre aus Gewalt und schmerzlichen Verlusten. Der Tod ist in den Fotografien der verschwundenen Frauen und in den Zusammenkünften der Angehörigen auf dem Friedhof immer präsent. Der Kampfsport wirkt wie ein ritueller Tanz, der den Teufelskreis der Gewalt aufbrechen und die permanente Bedrohung beenden will.
Es gelingt dem Film, die Brutalität, aber auch die akrobatische Eleganz im Ring einzufangen, weil der Kameramann Patrick Jasim die Atmosphäre vielschichtig in Bilder umsetzt und Paola Calvo eine Nähe zu den Protagonistinnen und ihrem Umfeld aufbaut. Die Kamera ist immer nahe bei den drei Frauen und ihren Familien, charakterisiert aber mit kalten, fast metaphorischen Totalen auch die Stadt, die Wüste und die Grenze. Der Film verzichtet auf jeden Kommentar, sondern lässt die drei Kämpferinnen und ihr Umfeld auch in ihren Widersprüchen zu Wort kommen. So ist „Luchadoras“ eine gelungene teilnehmende Beobachtung und ein faszinierendes Porträt von drei Frauen, die einem gewöhnungsbedürftigen Sport nachgehen, in einer Region, die exemplarisch für die exponentiell ansteigende Gewalt in Mexiko steht. Die drei „Luchadoras“ sind dabei aber keine politischen Kämpferinnen, wie die US-Amerikanerin, die im Film Selbstverteidigungskurse für Frauen anbietet. Dennoch stehen sie für ein anderes Frauenbild, das sich gegen die gewalttätige Männlichkeit zur Wehr setzt, nicht nur in Mexiko.