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Filmkritik
Stéphane Marson (Laure Calamy) arbeitet am Fließband in einer Fischkonservenfabrik und besucht seit Jahren ihre labile Geliebte Nathalie Cordier (Suzanne Clément) regelmäßig im Gefängnis; wegen Totschlag wurde die Freundin zu fünf Jahren Haft verurteilt. Als Stéphane obdachlos wird und bei einer Kollegin unterschlüpfen muss, droht sie endgültig aufs Abstellgleis zu geraten. In dieser Situation fasst sie endlich den Mut, ihren leiblichen Vater Serge Dumontet (Jacques Weber) anzurufen, den sie zuletzt als Kleinkind gesehen hat. Der schwerreiche Immobilienunternehmer und Ex-Bürgermeister von Hyères lädt sie tatsächlich in seine Prachtvilla auf der Insel Porquerolles ein.
Eine vergiftete Familie
Während der alte Mann sie freundlich begrüßt, zeigen sich seine kaufsüchtige Frau Louise (Dominique Blanc), die karriere-orientierte Tochter George (Doria Tillier), die zickige Enkelin Jeanne (Céleste Brunnquell) und das undurchsichtige Dienstmädchen Agnès (Véronique Ruggia) recht abweisend. Der Patriarch sieht in der unehelichen Tochter eine potenzielle Verbündete, während die anderen anscheinend nur auf seinen Tod warten, um endlich zu erben. Während Stéphane sich trotz einiger Rückschläge in der zerstrittenen Familie einnistet, wird ihre Freundin Nathalie immer nervöser, weil die Geliebte kaum mehr zu Besuch ins Gefängnis kommt.
Regisseur Sébastien Marnier taucht das Familiendrama von Anfang an in eine unheilvolle Atmosphäre, die von der düsteren Filmmusik verstärkt wird. So sieht sich Stéphane bei ihrer Ankunft in der Villa nicht nur mit ausgestopften Tieren konfrontiert, sondern entdeckt auch Gewehre an der Wand und eine Venusfliegenfalle, die gerade ein Insekt gefangen hat. Die Metaphern und Warnzeichen sind nicht sehr dezent, lassen aber erahnen, dass das titelgebende „Haus der Lügen“ eine Festung voller hinterhältiger Intrigen ist, in der jeder rücksichtlos seine Interessen verfolgt. So bestiehlt die strenge Agnès die Hausherrin, die ihrerseits ihren Ehefrust abzubauen versucht, indem sie ständig unnützen Kram kauft – und damit ihren Gatten ärgert.
Die Konflikte entladen sich gewaltsam
Mehrfach nutzt Marnier die Split Screen-Technik, um die Figuren in spannungsreichen Situationen nebeneinander und teilweise abwechselnd ins Bild zu rücken, so dass man besser beobachten kann, wie sich alle belauern und aufeinander reagieren. Erst mit der Zeit wird deutlich, dass der Film keinen Sympathieträger besitzt. Das gilt nicht zuletzt für Serge, der mit seinen Schwächeattacken anfänglich noch Mitgefühl auslöst, sich mit einer antisemitischen Bemerkung über Agnès aber ins Abseits katapultiert.
Die zunächst latent schwelenden Konflikte verdichten sich bis zu Todesdrohungen und münden in explosiver körperlicher Gewalt. „D’Origine du Mal“, der Ursprung des Bösen, wie der Originaltitel des Films lautet, liegt für Marnier in den toxischen Familienstrukturen. Paradigmatisch ist hierfür eine Schlüsselszene mit Jeanne, die Stéphane beim gemeinsamen Zigarettenrauchen offenbart, dass sie zu ihren Freunden nach Sydney will, um Fotografie zu studieren: „Hier sind alle irre! Wenn ich 18 Jahre alt bin, haue ich ab. Für mich ist die Familie das Schlimmste. Als ob man Gift im Blut hat."
Der sich langsam entfaltende Krimi-Plot lockt allerdings auf falsche Fährten. So scheinen sich die Frauen zeitweise gegen den übergriffigen Familienvater zu verschwören, doch der feministische Ansatz erweist sich als Finte. Die clevere Inszenierung versteht es, mit solchen Wendungen zu unterhalten, weist bei einer Laufzeit von zwei Stunden aber auch einige Längen auf.
Die Konstellation erinnert zuweilen an Genreklassiker nach Vorlagen von Agatha Christie und Patricia Highsmith. Vor allem jedoch weckt sie Reminiszenzen an „Knives Out – Mord ist Familiensache“ (2019). An deren narrative Eleganz reicht das konventionellere „Haus der Lügen“ aber nicht heran, was sich nicht zuletzt an der eher trivialen Auflösung im Finale zeigt.
Während Laure Calamy sonst eher für sympathische Figuren engagiert wird, legt sie hier Stéphane als ebenso deklassierte wie ambivalente Außenseiterin im Milieu der Superreichen an, deren wahre Motive erst spät zu Tage treten. Gelegentlich erweckt sie dabei Erinnerungen an die schillernde Präsenz von Isabelle Huppert in „Biester“ (1995). Während Jacques Weber dem in Widersprüchen gefangenen Millionär eine gewisse Komplexität verleihen kann, bleiben Dominique Blanc als hochmütige Louise und Doria Tillier als manipulative Karrierefrau George in karikaturesken Zuspitzungen gefangen.