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Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Wann hat schon einmal ein Film damit begonnen, dass er seine Heldin in einem „Outhouse“, einem Plumpsklo, zeigt? Nur dort findet sie die einzigen Augenblicke der Ruhe in einem bitteren, rauen Leben, das ihr keine Zeit lässt, an sich selbst zu denken. Ron Howard, sonst eher für Romantisierung zuständig, versucht sich in diesem Western an der Entromantisierung eines Genres, als habe es Sam Peckinpah und Sergio Leone nie gegeben. Der Film, der dabei herausgekommen ist, lässt sich entsprechend schlecht einordnen. Während die Handlung allenthalben Bezug auf John Fords „Der schwarze Falke“ (fd 5 299) nimmt, unterläuft Howard das traditionelle Konzept immer wieder mit modernen Perspektiven, als habe er eine Art feministische Antwort auf John Wayne im Kopf gehabt. Wer vor dem Kinobesuch noch einmal seine Erinnerungen an Fords Western-Klassiker aus dem Jahr 1956 mobilisiert hat, wird einigermaßen irritiert sein über die vielen Kehrtwendungen, mit denen „The Missing“ aufwartet, ohne allerdings eine eigene Richtung zu finden wie etwa die Western von Clint Eastwood oder Kevin Costner.
Die Zeit ist 1885, Ort der Handlung New Mexico. Maggie Gilkeson lebt mit ihren beiden Töchtern auf einer abgelegenen kleinen Ranch. Nebenbei betätigt sie sich auch als „healer“. Wer in der pittoresken, aber brutalen Einöde dieses Landstrichs zurechtkommen will, braucht wohl ein paar medizinische Grundkenntnisse. Das Leben hat Maggie hart gemacht, und als eines Tages ihr Vater Samuel auftaucht, der seine Familie vor 20 Jahren verlassen hat und in der Zwischenzeit zu einem „weißen Indianer“ geworden ist, will sie nichts mit ihm zu tun haben. Doch das Schicksal lässt ihr keine Wahl. Ihre 17-jährige Tochter wird entführt, ohne dass Maggie die geringste Hilfe beim Sheriff des nächstgelegenen Ortes finden würde. Der ungeliebte Vater ist die einzige Rettung. Er kennt sich aus mit der Wüste und dem Spurensuchen, und obwohl er nicht viel spricht, lässt sich aus seinen Augen lesen, dass er Anteil nimmt. Wie in „Der schwarze Falke“ geht die Fährte zu den Indianern: Apachen haben das Mädchen in ihre Gewalt gebracht, um sie und einige andere weibliche Gefangene jenseits der Grenze an Mexikaner zu verkaufen. Es beginnt eine lange Verfolgungsjagd, während der weder die Apachen noch die eigenen Militärs, denen Maggie und Samuel begegnen, auch nur einen Anflug von Charakter offenbaren. Die Soldaten sind gewissenlose Plünderer, die Indianer brutale Raufbolde, die vor keiner Untat zurückschrecken.
Was „The Missing“ von vielen früheren Western unterscheidet, ist die ausgefeilte Charakteristik seiner Hauptpersonen. Cate Blanchett und Tommy Lee Jones bekommen im Lauf der Handlung so viel Hintergrund für ihre Figuren, dass sie daraus richtig interessante und in der kargen Umgebung überzeugende Personen formen können. So passiert etwas mit dem Film, was im traditionellen Western ungewöhnlich war: Es sind mehr die Protagonisten und deren psychische Komplikationen, die das Interesse des Zuschauers wach halten, als die Ereignisse. Hätte das Drehbuch entsprechend viel Sorgfalt für die Indianer aufgewendet, so wäre „The Missing“ vielleicht ein fesselnder Western geworden. Doch auf der Gegenseite machen sich nichts als dumpfe Klischees breit, die meilenweit von jeder Differenzierung entfernt sind. Der Anführer der Apachen-Horde ist ein pockennarbiger Schamane, ein Freddy Krueger im Indianerkostüm, den Stephen King nicht furchterregender hätte ersinnen können. Ein solcher Rückfall in die plumpe Vorstellung von Rothäuten als brutale Erzfeinde ist umso bedauerlicher, als sich der Film ansonsten einige Mühe gibt, indianische Spiritualität anklingen zu lassen.
Western waren stets auch Landschaftsfilme. Viel von ihrem spezifischen Reiz ist grundgelegt in der Interpretation von Natur und in der Naturbetrachtung durch das Auge der Kamera. Es ist eines der schönsten und aufschlussreichsten cineastischen Unterfangen, die Unterschiede zwischen den Perspektiven zu studieren, mit denen sich Western-Regisseure wie John Ford, Raoul Walsh, Budd Boetticher und Sam Peckinpah den Landschaften genähert haben, in denen ihre Filme angesiedelt sind. Neben den Hauptdarstellern ist es auch in „The Missing“ hauptsächlich die Landschaftsfotografie, die für den Film einnimmt. Kameramann Salvatore Totino („An jedem verdammten Sonntag“, fd 34 133, „Spurwechsel“, fd 35 673;) hat die Exposition der Story in winterliche Bilder einer spröden, wenig einladenden Umwelt eingebettet, die von den ersten Totalen an den immensen Überlebenswillen der Menschen begreiflich machen, die sich dort gesiedelt haben. Hier und auch in den Kampfszenen am Ende, die sich in einem bizarren Felsengebirge abspielen, ist es die Fotografie, die den Film am deutlichsten von jeder Ästhetisierung des Genres abrückt und ihm zumindest einen Anflug von Stil verleiht.