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Filmplakat von Jazzfieber. The Story of German Jazz

Jazzfieber. The Story of German Jazz

90 min | Dokumentarfilm | FSK 12
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Jazz ist hip! Ob im Club oder im Tanzpalast – swingende Rhythmen sind en vogue, auch und gerade unter jungen Menschen! Dabei wissen die wenigsten um die Wurzeln dieser Musik, die vor 100 Jahren die Tanzböden der Metropolen hierzulande eroberte. Wie kam der Jazz nach Deutschland? Warum wurden Swing-Kids in Zwangslager und Jazzmusiker sogar ins KZ verschleppt? Wodurch gelang dem Jazz nach dem Krieg der Durchbruch? Welche Bedeutung hat er heute für die jungen JazzmusikerInnen? Ausgehend vom Lebensumfeld jazzbegeisterter junger Menschen und MusikerInnen macht sich unser Kinofilm auf die Suche nach Antworten.
  • RegieReinhard Kungel
  • ProduktionsländerDeutschland
  • Produktionsjahr2022
  • Dauer90 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • AltersfreigabeFSK 12

Vorstellungen

Leider gibt es keine Kinos.

Filmkritik

Wie sich die Bilder doch gleichen! Jazz-Musiker und Jazz-Musikerinnen auf Tour, im Bus auf dem Weg zum Publikum. Von Auftrittsort zu Auftrittsort. Mal aufgekratzt und spielfreudig, mal entspannt, mal übermüdet. Ausladen, aufspielen, einladen, ausladen, aufspielen, einladen. Auf dem Weg zum Soundcheck noch ein paar Absprachen und dann kann es auch schon losgehen.

Doch kann oder soll man diese launige Parallelmontage zu Beginn von „Jazzfieber“ als Ausweis unbestimmter Kontinuitäten interpretieren? Also rein atmosphärisch? Ist das etwas Spezifisches für den Jazz, auf Tour zu sein? Oder ist es nur ein Einfall beim Sichten des Archivmaterials und zudem kostengünstig zu inszenieren, wenn man eine junge Band in einen Bandbus setzt, diesen ein wenig in und um Stuttgart herumfahren und „den jungen Jazz“ dann spontan auf Archivmaterial reagieren lässt?

Wobei man dann allerdings über die Fürsorgepflicht der Filmemacher Reinhard Kungel und Andreas Heinrich reden müsste, wenn sich „der junge Jazz“ um Kopf und Kragen redet. Man weiß am Ende gar nicht, was man mehr bewundern soll: die Chuzpe, in neunzig Minuten „die“ – und nicht bestenfalls eine – Geschichte des Jazz in Deutschland erzählen zu wollen. Oder die Chuzpe, dies mit einer erstaunlich unreflektierten Verwendung und Montage von Archivmaterial ins Werk zu setzen. Und damit bei den co-produzierenden Sendern SWR und BR Klassik sowie den regionalen Filmförderungen durchzukommen.

Gänzlich missglückte Doku

Um zu verstehen, wie es zu dieser gänzlich missglückten Dokumentation kommen konnte, muss man etwas weiter ausholen. „Jazzfieber“ präsentiert die „Geschichte des Jazz in Deutschland“ vorzüglich als Gespenstergeschichte in Form einer „Oral History“ alter weißer Männer. Das Projekt begann 2011 und zog sich bis in die unmittelbare Gegenwart. Ein großer Teil des Archivmaterials stammt aus der populären Veranstaltungsreihe „Swing-Legenden“, bei der Max Greger (1926-2015), Paul Kuhn (1928-2013) und Hugo Strasser (1922-2016) ab der Jahrtausendwende zusammen mit der SWR-Big-Band recht erfolgreich durch die Lande tourten. In der beim älteren Publikum beliebten Nostalgie-Veranstaltung wurde Swing-Klassiker von Glenn Miller, Harry James oder Duke Ellington kompetent gespielt, während alles „Moderne“ wie Bebop, Cool Jazz, Free Jazz oder Fusion ausgespart blieb.

Wahrscheinlich taugte ein Auftritt 2012 in Stuttgart sogar als Ausgangsmaterial für „Jazzfieber“. Die Karrieren von Greger, Kuhn und Strasser werden durch reichlich Archivmaterial skizziert und durch Ausschnitte aus Gesprächen ergänzt. Wobei der Begriff „Gespräch“ vielleicht etwas euphemistisch ist, weil es sich meist nur um aus dem Zusammenhang gerissene Sprüche und Anekdoten handelt, die weder hinterfragt noch in größere Zusammenhänge gestellt werden.

Die Geschichte des Jazz in Deutschland, die sich auf diese Weise erzählen lässt, liest sich etwa wie folgt: Je nach Alter des Befragten lernten sie den Jazz entweder in der Weimarer Republik vor einer Eisdiele in Berlin, während der Nazi-Zeit oder nach der Befreiung vom Faschismus kennen und lieben. Die Musiker spielten in „Ami-Clubs“ und verräucherten Jazzkellern und imitierten von Herzen, was sie hörten. Unwidersprochen wird der Mythos von der Stunde Null kolportiert. Und mit Hugo Strasser die Nazi-Zeit als „eine furchtbare Zeit“ charakterisiert. Zum Glück hatte er ja stets seine Klarinette dabei!

Pure Nostalgie

Später kam dann entweder ein gewisser Anspruch an Seriosität oder aber die Kulturindustrie ins Spiel und in die Quere, weil der Jazz, der keine Tanzmusik war, nicht für den Lebensunterhalt reichte. Folglich mussten Kompromisse mit dem Kommerz geschlossen und die Musiker zu Dienstleistern werden. Mancher Jazzer fand Unterschlupf beim Schlager (Paul Kuhn), mancher beim ZDF (Max Greger), andere beim Film (Peter Thomas). Erst im hohen Alter durften sie als „Swing-Legenden“ wieder die Musik spielen, die sie damals so geliebt hatten, die jetzt aber pure Nostalgie ist.

Die Geschichte des deutschen Jazz, die in „Jazzfieber“ geschildert wird, ist folglich eine augenzwinkernde Liebesgeschichte mit Umwegen und viel Stillstand. Da aber auch den Filmemachern irgendwann aufgegangen ist, dass diese Erzählung so nicht funktioniert, wurden andere Gesprächspartner wie Rolf Kühn, Coco Schumann, Peter Thomas oder Karlheinz Drechsel hinzugezogen. Das führt allerdings dazu, dass es noch mehr Material, noch mehr Anekdoten und Erinnerungssplitter gibt, die kaum geordnet und erst recht nicht gewichtet werden.

Ein Beispiel: „Jazz im III. Reich“ (Kapitelüberschrift). Jazz war bei den Nazis nicht wohl gelitten, da wahlweise als „jüdisch-bolschewistisch“ oder als „amerikanische Unkultur“ verschrien – oder vielleicht auch, weil dieser Musik ein Moment „freiheitlichen Denkens“ innewohnt. Mancher würde sagen: Jazz war verboten. Andere wissen: Swing zu tanzen war verboten.

Doch dann sammelt der Film fleißig Anekdoten, die belegen, dass die ohnehin wenig kohärente Jazz-Politik der Nazis subversiv umgangen werden konnte, da aus dem Ausland entsprechende Schallplatten ins Land kamen, „Feindsender“ gehört wurden und Jazz im Untergrund blühte. Der „Ghetto-Swinger“ Coco Schumann hatte außerdem in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz spielen müssen und bringt so ganz andere Erfahrungen als die Plattensammler und Feindsender-Hörer in den Film. Nur wer wie Klaus Doldinger (Jahrgang 1936) über eine „Gnade der späten Geburt“ verfügt, kann davon schwärmen, nach Kriegsende „noch nie solch eine Musik“ gehört zu haben.

„Djäzz“ oder „Jatz“

Dass „Jazzfieber“ vor unfreiwilligem Humor fast überläuft, ist allerdings gar nicht das größte Problem des Films, der sich den Gag leistet, darüber nachzudenken, ob er vom „Djäzz“ oder lieber vom „Jatz“ erzählen will. Denn nach einer Stunde Nostalgie fällt es den Machern ein, dass es möglicherweise auch die DDR und vielleicht sogar Musikerinnen gegeben haben könnte. Pflichtschuldig wird kurz an die DDR-Jazzband „Zentralquartett“ erinnert, sowie an die Jazzerinnen Jutta Hipp und Inge Brandenburg.

Dieses anekdotengesättigte Bilderkonvolut ist dabei nicht nur dissonant, sondern zeichnet sich durch eine klare Tendenz aus, die um das Wort „Swing“ kreist. Die „Swing-Legenden“ bilden nicht nur das heimliche Zentrum der Geschichte des Jazz in Deutschland, sondern die Ausschnitte aus der legendären WDR-Sendung „Pop Jazz vs. Free Jazz“ aus dem Jahre 1967 werden überdies so montiert, dass dem Free Jazz ein akuter „Swing“-Mangel attestiert wird und Klaus Doldinger die Ausdrucksweisen des Free Jazz sogar verhöhnen darf, ohne dass sein Gegenpart Peter Brötzmann zu Wort kommt.

Einvernehmliche jugendliche Spießigkeit

Weil die Geschichte des Jazz in Deutschland hier also aus der Perspektive der „Dienstleister“ und damit aus dem intellektuellen Abseits heraus konstruiert wird, fällt alles unter den Tisch, was mit der improvisierten Musik nach 1963 zu tun haben könnte: Kunstanspruch, Professionalisierung, Institutionalisierung, Subventionierung, Marginalisierung, Diversität. Für die Gegenwart des Jazz in Deutschland steht in „Jazzfieber“ nur die junge Band, die im Bandbus via Tablet mit „Jazzfieber“ konfrontiert wird und das Material mit ein paar „Meinungen“ kommentieren darf/soll/muss. Was dabei herauskommt, ist erschreckend: Tradition und Handwerk seien wichtig, werden an den Hochschulen aber leider zu wenig vermittelt; Bebop wird belächelt, Kommerz ist ja nicht Schlechtes, Drogen eher schon. Jazz im KZ war „echt krass“, weil dabei die Kunst und die Schönheit gewissermaßen vergewaltigt werden. So viel einvernehmliche jugendliche Spießigkeit erstaunt und stellt nachdrücklich, was an den Hochschulen eigentlich gelehrt wird.

Wo die Expertise als Bedingung, komplexe Stoffe zu ordnen und vermittelbar zu machen, mangelhaft ausfällt, hilft es wenig, dies am Schneidetisch mit kontingentem Archivmaterial als atemlose Bilderflut zu kaschieren. „Jazzfieber – The Story of German Jazz“ oder wie Klaus Doldinger es formulieren würde: „Es hat nicht sollen sein.“

Erschienen auf filmdienst.deJazzfieber. The Story of German JazzVon: Ulrich Kriest (20.12.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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