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Filmkritik
Wenn ein „Nach einer wahren Geschichte“ erzählt wird, ist das immer eine Hypothek, auch wenn das Leben angeblich die besten Geschichten schreibt. Denn die Inszenierung muss sich messen und vergleichen lassen an und mit der Realität. Was entspricht den Fakten, was wurde fiktionalisiert? Wie wird die Spannung aufgebaut, wenn die Geschichte bekannt ist? All das trifft auf „Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka“ von Vincent Garenq zu. Der „Fall“ tauchte vor über drei Jahrzehnten in den Medien auf, er vereinte Familientragödie, Missbrauch, Justizskandal und am Ende sogar eine Räuberpistole um Selbstjustiz. Am 10. Juli 1982 klingt das Hoteltelefon. Der Franzose André Bamberski, der mit seiner Freundin gerade einen Kurzurlaub in Marokko macht, erfährt, dass seine 14-jährige Tochter Kalinka, die in den Ferien bei ihrer Mutter und ihrem deutschen Stiefvater in Lindau war, in ihrem Bett tot aufgefunden wurde. Der Film basiert auf Bamberskis autobiografischem Roman. Die Haltung und Perspektive des Films ist damit klar. Dem Film vorangestellt ist, wie alles begann. Bamberskis Frau lernte in Marokko, wo ihr Mann arbeitete, den charmanten, gutaussehenden Arzt Dieter Krombach kennen. Sie verliebt sich, will aber bei Mann und Kindern bleiben. Gemeinsam versuchen sie einen Neuanfang in Frankreich. Acht Jahre später aber stellt sich heraus: Krombach ist ihr nach Frankreich gefolgt, sie treffen sich immer noch. Bamberski reicht die Scheidung ein. Nach dem Anruf versucht Bamberski herauszufinden, wie seine Tochter gestorben ist. Eine seltsame Injektion des Arztes Krombach, überflüssige Rettungsversuche, obwohl das Mädchen schon tot ist – der Obduktionsbericht schreit zum Himmel. Darauf wird Bamberski vom Übersetzer des Berichts hingewiesen. Spuren deuten auf Missbrauch hin. Gespielt werden die beiden Männer von Daniel Auteuil (Bamberski) und Sebastian Koch (Krombach), was trotz des mehr als vier Jahrzehnte umfassenden Zeitrahmens durch ein gelungenes Zusammenspiel von Maske, Kostüm und Ausstattung gut funktioniert. Kalinka ist beim Schwimmen mit ihren Freundinnen zu sehen, im Bikini, „es war ein heißer Tag“, ihr letzter Tag. Die Szenen kehren, als eine Art Flashbacks, immer wieder und unterbrechen gelegentlich den chronologischen Verlauf. Sie sind von unten gefilmt, eine Horrorfilm-Anleihe: Die Kamera ist der Hai, der lauert, um sein an der Oberfläche fröhlich schwimmendes Opfer anzugreifen. Der Hai ist Krombach. Er hat später noch mehrere Mädchen missbraucht. Der Film stellt Bamberskis 27 Jahre dauernden Kampf um Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Station für Station wird abgehakt. Dabei konzentrieren sich Drehbuch und Inszenierung auf die zentralen Eckdaten. Bamberski ist die Identifikationsfigur, Krombach der Antagonist. Der Justizskandal, französisch-deutsche Verstimmungen, Meinungsmache in den Medien, Seilschaften, fallen dabei weitgehend unter den Tisch. Der Regisseur entscheidet sich eher für die Boulevard-Seite. Er will Bamberskis Figur nicht als Sympathieträger verlieren, aber trotzdem differenziert zeigen. Diese Bemühungen wirken manchmal etwas verkrampft und aufgesetzt. Man sieht Auteuil mit weit aufgerissenen Augen und laut vor sich hinmurmelnd Akten studieren oder wie er agitatorisch-verzweifelt Flugblätter in Lindau verteilt. Auf der anderen Seite wird seine Figur mit extrem viel visuellem Pathos aufgeladen. Indem er Blumen zum malerisch gelegenen Friedhof in den Pyrenäen bringt oder in den Sonnenuntergang blickt, aber vor allem durch den Einsatz eines emotional übersteuerten Soundtracks. Ein wenig erinnert „Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka“ an den Dokumentarfilm „Mollath“ (fd 43 201): Auch hier liegt der Fokus auf einem ambivalenten Protagonisten, während der Justizskandal zugunsten eines unausgewogenen Psychogramms vernachlässigt wird. Ein Film wie „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (fd 43 384) zeigt, wie das gehen kann. Es muss nicht immer Boulevard sein.