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Filmkritik
Pinkes Neon-Graffiti leuchtet auf nächtlichen Asphaltstraßen. Eine kindliche Explosion von Farben, durchbrochen von einem unbestimmten Gefühl der Bedrohung: Zwischen wirren Zeichen findet sich der Appell „There is still time“, und es ist unklar, ob es ein Hoffnungsschimmer oder ein Hilferuf ist. „I Saw the TV Glow“ fühlt sich bereits von der ersten Minute an wie ein Coming-of-Age-Drama, das jede Sekunde zum Horrorfilm mutieren könnte, weil sich übernatürliche Kräfte ihren Weg durch die ohnehin schon bröckelnden Mauern der Realität fressen. Selbst die Figuren ringen immer wieder darum, ihr Lebensgefühl in Worte zu fassen: „This is not how life is supposed to feel“, behauptet Maddy (Brigette Lundy-Paine), für die sich das urbane Vor-sich-Hinleben wie eine Scheinwelt anfühlt. Ihr Freund Owen (Justice Smith) schüttelt den Kopf: „It’s just the suburbs.“
Fernsehkindheit 1996
Als Owen eines Nachts die Vorschau für die Serie „The Pink Opaque“ im Fernsehen sieht, scheint etwas in ihm zu erwachen. Die Serie wirkt, auf den ersten Blick, wie eine trashig produzierte Monster-of-the-Week-Serie, die ein wenig an „Buffy – Im Bann der Dämonen“ und etwas an die „Power Rangers“ erinnert. Nüchtern betrachtet wirkt alles harmlos, vielleicht sogar etwas albern. Doch obwohl nur wenige Sekunden gezeigt werden, fühlt sich der Siebtklässler geradezu magisch in den Bann der Sendung gezogen, die zu einer Zeit läuft, in der er eigentlich schon im Bett sein müsste. Für die einige Jahre ältere Maddy ist „The Pink Opaque“ das Zentrum ihrer Welt: Sie kennt alle Fantheorien, kann stundenlang über die Mythologie und die Figuren sprechen und verliert sich immer häufiger in der wöchentlichen Fantasiewelt.
So beginnen die beiden Außenseiter, basierend auf ihrer Faszination für den Serienkosmos, eine eigentümliche Freundschaft, die mit heimlichen Besuchen beginnt und mit dem wöchentlichen Austausch von Videokassetten endet. Beide verbindet eine seltsame innere Leere und eine emotionale Dissonanz, die sie schwer beschreiben können. Ob der Eskapismus von „The Pink Opaque“ die Lösung für ihre Probleme bereithält oder alles noch schlimmer macht, lässt sich nicht abschätzen. Die Frage, ob ein Fandom Menschen aus ihrer Einsamkeit retten kann oder lediglich ein Placebo ist, um sich selbst weiter belügen zu können, hängt ohne Antwort in der Luft, während langsam Realität und Fernsehwelt miteinander verschmelzen. Während „The Pink Opaque“ sich bei den liebenswert naiven Fantasyserien der 1990er-Jahren bedient, erinnert die surreale Atmosphäre, die sich bei „I Saw the TV Glow“ in diesen Momenten einstellt, eher an ein anderes Fernsehphänomen der Dekade: „Twin Peaks“.
Nostalgie-Gegengift
Die 1990er-Jahre in „I Saw the TV Glow“ sind ein eigenartiger Nicht-Ort zwischen Wunschfantasie und Albtraum. Zu behaupten, der Film fühle sich nicht wie die Zeit an, die er darstellt, ist aber nicht die ganze Wahrheit: Er fühlt sich lediglich nicht an wie die 1990er, die normalerweise in Filmen dargestellt werden. Keine großen popkulturellen Referenzen, keine Anspielungen auf die großen Trends der Zeit, kein „Wisst ihr noch…?!“. Selbst der Soundtrack verzichtet auf die Hits der Dekade. Stattdessen erklingt stimmungsvolle kontemporäre Indiemusik, und das Ensemble wird mit entsprechenden Gastauftritten gespickt. In einer Nebenrolle darf zwar auch „Limp Bizkit“-Frontmann Fred Durst einen empathielosen Vater spielen, doch die Musik seiner alten Band wird nie zu hören sein. In der Welt, die Regisseur*in Jane Schoenbrun erschafft, wirkt die Erinnerung an „Limp Bizkit“ wie ein Relikt und Durst wie ein Geist, der zwar kein Teil der Realität mehr ist, aber sich dennoch nicht komplett aus ihr verbannen lässt. Ein filmgewordener Exorzismus der eigenen Nostalgie als Gegenentwurf zur Wohlfühl-Vergangenheit eines „Stranger Things“.
Das Publikum von „I Saw the TV Glow“ steht damit vor der gleichen Herausforderung wie das Serienpublikum von „The Pink Opaque“. Beide beginnen damit, nostalgische Ideen zu hinterfragen und sich damit auseinanderzusetzen, wie viele der eigenen Erinnerungen durch mediale Einflüsse verklärt sein könnten. Maddy und Owen versuchen, dieses Problem zu lösen, indem sie beginnen, das eigene Leben im Kontext der sich ändernden Medienlandschaft zu verstehen. Manchmal fühlt es sich an wie eine Videokassette, später wie eine springende DVD und irgendwann wie ein Kino. Als die Filmhandlung sich der Gegenwart nähert, ist „The Pink Opaque“ zum Streamen erhältlich, hat aber jeglichen Zauber der VHS-Jugend verloren.
Midnight Movie Special
Der rätselhafte Reigen der Selbstfindung, den Owen und Maddy bestreiten müssen, kann in den stärksten Momenten des Filmes mit voller Wucht auf sein Publikum überspringen. Obwohl es, wenn man einen Blick auf die Mitwirkenden vor und hinter der Kamera wirft, einen Interpretationsansatz gibt, der sich aufzudrängen scheint, wird der Film dadurch nicht weniger enigmatisch. Vielmehr schafft es Schoenbrun, Fragen so clever zu stellen und Antworten so vage zu halten, dass sich die unterschiedlichsten Themen ineinander verfangen und einander befruchten. Die Zielgruppe, die angesprochen wird, fühlt sich gehört, und für alle anderen gibt es genügend Ideen, um lange darüber nachzudenken und ihre eigene Wahrheit in den eingängigen Bildern und vieldeutigen Dialogen zu finden – wenn man sich auf die eigenwillige Erzählweise einlassen möchte.
Es ist ohne viel Fantasie vorstellbar, wie jemand zu „I Saw the TV Glow“ das gleiche Verhältnis aufbaut wie die Figuren im Film zu „The Pink Opaque“: Ein Kuriosum, das man zufällig nachts im Fernsehen sieht und beeindruckt ist, ohne genau erklären zu können warum. Ein Film, der Rätsel aufgibt, die man entschlüsseln möchte, ein Geheimtipp, den man weiterreicht und über den man mit Gleichgesinnten Theorien austauscht, während man Zweiflern erklärt, dass sie einfach nicht verstehen, wie tiefgründig und großartig das alles ist. Und es wird andere geben, die zufällig nachts über den Film stolpern, nach fünf Minuten ausschalten und nie wieder einen Gedanken an ihn verschwenden.