Vorstellungen
Filmkritik
Eigentlich möchte Vera bloß mit dem Rauchen aufhören. Nach nur einer Sitzung in der Hypnotherapie nimmt ihr Lebens- und Geschäftspartner André aber eine seltsame Veränderung an ihr wahr. Erst sind es nur kleine Verhaltensauffälligkeiten, die er bemerkt. Nach und nach jedoch scheint Vera immer mehr die Kontrolle über sich zu verlieren, bis sie schließlich zur Gefahr für ihr gemeinsames berufliches Projekt zu werden droht und André zu drastischen Mitteln greift.
Diese nicht allzu originelle, aber spannende Drehbuchidee, die der schwedische Regisseur Ernst de Geer für sein Spielfilmdebüt gemeinsam mit Mads Stegger, einem Kommilitonen auf der Norwegischen Filmschule, entwickelt hat, böte gleichermaßen Stoff für einen Mysterythriller, in der Art, wie ihn Robert Rodriguez mit „Hypnotic“ unlängst inszenierte, wie für eine schrill überdrehte Komödie auf den Spuren von Tom Shadyacs „Der Dummschwätzer“. Eine Zeit lang spielt de Geer denn auch mit diesem ambivalenten Potenzial, und es bliebt offen, in welche (Stil-)Richtung sich der Film bewegt. Da de Geer sich aber angeblich von einer Szene aus einem Donald-Duck-Cartoon, in der Donald Pluto hypnotisiert, für seinen Kinoerstling inspirieren ließ, ist bald klar, wohin das Pendel ausschlägt. Einfach nur lustig zu sein, genügt einem skandinavischen Filmhochschulabsolventen dieser Tage allerdings wohl nicht. Stattdessen soll es eine Sozialsatire werden, die das Spannungsfeld von Individuum und Kollektivität auslotet – spätestens seit „Dogma 95“ ein wiederkehrender Topos im skandinavischen Kino.
Egoistisch, kindisch, hemmungslos
Zurück von ihrer Hypnosetherapie scheint Vera noch viel mehr losgeworden zu sein als ihre lästige Nikotinabhängigkeit. All die Ängste und Zwänge, die sie bislang im Verhältnis zu ihrer dominanten Mutter und überhaupt ihrer Umwelt belastet haben, scheinen sich auf einmal aufgelöst zu haben. Aber auch das Gespür für sozial adäquates Verhalten oder zumindest die Bereitschaft, Rücksicht darauf zu nehmen, was andere denken und fühlen, scheint verloren gegangen. Mit anderen Worten: Die früher so einfühlsame, zurückhaltende Vera ist jetzt ganz und nur noch sie selbst: egoistisch, kindisch, hemmungslos.
Es dauert eine Weile, bis das den anderen auffällt. Anfangs inszeniert de Geer das Erwachen aus der sinnbildlichen Gesellschafts-Hypnose, in die Vera hineinsozialisiert wurde, noch als schleichenden Prozess. Als ihre Mutter ihr bei einem Besuch das technische Geschick abspricht und stattdessen André bittet, das WLAN wieder in Gang zu bringen, widerspricht sie ihr hartnäckig, anstatt wie sonst die herabwürdigenden Zwischentöne zu überhören. André findet das toll. Weniger erfreut ist er, als Vera sich wenig später auch von ihm nichts mehr sagen lässt.
Gemeinsam haben beide eine App entwickelt. Mit „Epione“ schreiben sie sich auf die Fahne, die Frauengesundheit weltweit und insbesondere in Entwicklungsländern zu fördern. Um ihr Projekt zu realisieren, nehmen sie an einem Pitching-Wettbewerb namens „Shake up“ teil, bei dem der beste oder eben aufrüttelndste Pitch eine Förderung erhält. Eine Art „Höhle der Löwen“ mit Weltverbesserungsanspruch und in de Geers Inszenierung eine wahre Fundgrube für Doppelmoral.
Sie weicht vom eingeübten Skript ab
Für diese richtungsweisende Entwicklerkonferenz bereiten sich Vera und André in einem dreitätigen Workshop vor. Als André am Abend, bevor dieser beginnt, noch einmal die gemeinsame Präsentation durchgehen möchte, hat Vera keine Lust darauf. Am anderen Morgen, als sie ihre App im Workshop vorstellen und Vera in schillernden Farben die Geschichte von ihrer ersten Periode erzählt, bei der die Blutung einfach nicht stoppen wollte, weil sie, was sie damals noch nicht wusste, Bluterin sei, weicht sie vom sorgsam ausgearbeiteten und unzählige Male eingeübten Skript ab, (noch) aber ohne den Gründungsmythos von „Epione“ zu zerstören: In einer anderen, weniger aufgeklärten Gesellschaft, in der Frauengesundheit ein Tabu ist, wäre sie damals vielleicht gestorben. Während André sich sklavisch an den vorbereiteten Text hält und im Bemühen, sich ja nur gut zu verkaufen, verkrampft und nervös wirkt, strahlt Vera eine natürliche Lockerheit und Selbstsicherheit aus, die André sichtlich irritiert.
Julian, der von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern umschmeichelte Workshopleiter, der mit seiner guruhaften Aura an den betont unkonventionellen Privatschulleiter aus Paprika Steens ähnlich angelegter dänischer Komödie „Von Vätern und Müttern“ erinnert, findet das anfangs noch erfrischend. Mehr und mehr aber stößt Vera ihn mit ihrer ungefilterten Direktheit vor den Kopf. Während André zunehmend verzweifelt versucht, Julians Gunst zu erringen, torpediert Vera diese Versuche mit einer sorglosen Dreistigkeit, als wäre ihr der Workshop, der Pitching-Wettbewerb, die App, das alles, inklusive André, völlig egal. Als André Julian auf einen Drink einlädt und ihm anbiedernd vom Murakami-Roman vorschwärmt, den der Workshop-Guru in seinem Blog empfohlen hat, taucht unvermittelt Vera auf und posaunt lachend heraus, wie sehr sich André beim Lesen gelangweilt habe. Je mehr André sich anschließend windet und herauszureden versucht, um so gnadenloser stellt Vera ihn bloß.
In dieser Phase entfaltet der Film eine beklemmend-komische Wirkung, indem er Situationen zum Fremdschämen kreiert, die auch deshalb kaum auszuhalten sind, weil sie so authentisch wirken, dass man sich erschreckend leicht mit ihnen identifizieren kann. Fotografisch hat der Film wenig mehr zu bieten als handwerklich solides, reibungsloses Fernsehfilm-Niveau. Es sind zwei andere Quellen, aus denen „Hypnose“ seine tragikomische Kraft zieht: die pointierte, klug ausbalancierte Dramaturgie und das griffige, lebensechte, fast dokumentarisch prätentionslose Spiel von Asta Kamma August und Herbert Nordrum in den Hauptrollen.
Immer weniger von Donald Duck
Doch so sehr der Film in diesen Augenblicken seinem Titel gerecht wird und einem mit einem horrorfilmähnlichen Schaulustekel in den Bann zieht, so wenig weiß er hinterher, wohin mit sich selbst. Es soll um Gruppendynamiken gehen, gesellschaftliche Zwänge, die von außen auferlegten Grenzen der Selbstermächtigung und natürlich, wie de Geer es im Presseheft-Interview formuliert, irgendwie auch um „das ganze Geschlechterrollenthema“. Was man eben heute alles so hineinpackt in ein Debüt. Wie so oft von allem ein bisschen zu viel. Und so flüchtet sich der Film in seiner Orientierungslosigkeit schließlich auch in die Stilmittel der Übertreibung und Provokation, bis Vera anfängt, einen imaginären Chihuahua mit sich herumzutragen und de Geer sich immer weniger von Donald Duck als von Lars von Triers „Idioten“ inspirieren zu lassen scheint.