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Filmkritik
Im Jahr 2024 ringt das Horrorfilm-Genre mehr als zuvor mit seiner neugewonnenen Funktion als Prestigeobjekt. Es krankt an Erfolg und Ansehen. Schon seit Jahren ist die Aufklärung des ursprünglich von Mythen geprägten Genres zu beobachten, eine symbolische Überdeterminierung der lange verächtlich behandelten Spielart des Kinos. Horror erklärt sich heute zu oft selbst. Er stellt seine großen, bedeutsamen Themen offen aus und wird dadurch berechenbarer. „Heretic“ von Scott Beck und Bryan Woods passt perfekt in die Gegenwart des Genres.
Der formal und dramaturgisch konventionelle Horrorthriller lebt von einer interessanten, ungemein gegenwärtigen Figur. Der finstere Privatgelehrte Mr. Reed (Hugh Grant) glaubt, die Welt zu verstehen. Gerade auch jene Mechanismen menschlichen Handelns, denen immer wieder zugeschrieben wurde, dass sie sich der klaren Vermessung entziehen würden. So ist Religion für ihn nichts anderes als ein Machtinstrument. Opium fürs Volk, nicht der Seufzer der bedrängten Kreatur oder das Gemüt einer herzlosen Welt. Das Filmposter zeigt Reed als überlebensgroßen Puppenspieler.
Zwei klopfen an der Tür
Für zwei junge mormonische Missionarinnen wird er zum härtesten Fall. Schwester Paxton (Chloe East) und Schwester Barnes (Sophie Thatcher) sind unter ihren Altersgenossen Außenseiter. Während andere auf Partys gehen, sprechen sie mit Fremden über Joseph Smith und die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Trotzdem sind sie keine Karikaturen von Gläubigen, wie man sie im Kino oft sieht. Man erlebt sie vielmehr zweifelnd, reflektierend, abwägend-sehnsüchtig und liebevoll. Kurzum: menschlich.
Als sie Reeds Haus nach einem langen Arbeitstag erreichen, braut sich gerade ein Sturm zusammen. Der ältere Herr bittet sie herein und gibt sich anfänglich offen und interessiert. Dann jedoch wird sein Ton zunehmend schärfer. Immer aggressivere Gesten der Manipulation zeigen, dass Unfreiwilligkeit schon lange vor explizitem Zwang beginnt. Außerdem zweifelt er das Fundament ihres Glaubens an. Die Diskussion auf Augenhöhe verwandelt sich in ein düsteres Spiel, in dem es um mehr als Rechthaberei geht – vielleicht sogar um ihr Leben.
Reed präsentiert seine Position in langen Monologen mit großem Aplomb, aber dünnen Argumenten. Er klingt dabei wie einer jener „Neuen Atheisten“ der 2000er-Jahre, die sich sophistisch-selbstversessen an der Hegemonie der US-Evangelikalen oder an islamischen Extremisten abarbeiteten. Seine Vergleiche, etwa zwischen den abrahamitischen Religionen und Brettspielen oder Popsongs, hätten auch von Christopher Hitchens stammen können. Reeds Punkte sind trivial: Dass Popkultur heute oft eine religiöse Dimension angenommen hat, ist schwer zu leugnen. Taylor Swift ist längst zu einer Art Weltreligion geworden. Daraus folgt allerdings nicht zwangsläufig, dass im Umkehrschluss auch jeder Glauben ein Konsumgut unter anderen ist.
Zu verliebt in den Hauptdarsteller
„Heretic“ ist jedoch ein wenig zu verliebt in das Spektakel „Hugh Grant“, um ihm wirklich etwas entgegenzusetzen. Auch wenn die beiden Schwestern Paxton und Barnes vehement widersprechen, ist es vor allem die Darbietung des neuerdings zum Charakterschauspieler mutierten Schauspielers, die mitreißen und affizieren soll. Reed versteckt Abgründe hinter einem unscheinbaren Äußeren und einem Gebaren zwischen Studienrat und chargierendem Theaterschauspieler. Er betont Worte überraschend, zwirbelt sie auf der Zunge umher und spielt mit der Sprache wie mit den Menschen.
Ein großer Teil von „Heretic“ spielt in seinem äußerlich modernen und innerlich labyrinthischen Haus. Das kammerspielartige Szenario soll allein durch seine räumliche Bedrängung Spannung erzeugen. Was zumindest in der offeneren zweiten Hälfte des Films gelingt, die aber weniger interessant ist. Die Inszenierung arbeitet mit wiederkehrenden Nahaufnahmen, welche die Körper fragmentieren, als würde der Kamerablick nach Schwachstellen suchen. Unheilvolle Geräusche aus dem Off und dramatische Lichtstimmungen betonen überdies die von Reed ausgehende Bedrohung. Der Rhythmus des Films ist von langen Sequenzen des Zögerns und angespannten Abwartens geprägt. Ein Thriller des unruhigen Stillstands und der Latenz. Es wird gesprochen, aber die Worte überdecken dabei meist nur, dass gerade eine Entscheidung getroffen werden muss. Die linke oder die rechte Tür, widersprechen oder zustimmen, Angriff oder Flucht?
Motivisch wird auf bekannte Weise mit Genrestandards gearbeitet. Licht und Schatten fallen mit Wissen und Nichtwissen zusammen. So darf Reed dann sogar im Wortsinn „Aufklärung“ einfordern. Paxton und Barnes sind gefangen und sehen einen Schmetterling, der hilflos in einem Lampenschirm umherflattert. Subtil ist „Heretic“ nicht.
Was lässt sich vorhersagen?
In späteren Szenen öffnet sich die Diskussion. Unter anderem wird auch auf die von Nick Bostrom formulierte Simulationshypothese Bezug genommen. Die Fragen nach politischer, filmischer und religiöser Macht werden zusammengedacht. Beherrschen uns Priester wie Regisseure? Priester so wie Politiker? In letzter Konsequenz bringt der Film einen naiven, aber herzensguten Glauben gegen einen elitär-technokratischen Standpunkt in Stellung. Reed agiert als menschliche Form eines prädiktiven Algorithmus – wenn unsere Handlungen mathematisch vorhergesagt werden können, wie kann dann noch freier Wille existieren?
Das wirkt nicht eben überzeugend in einem Film, der selbst in seinen Mitteln so beherrscht und eingehegt wirkt. Einer, der ohne Brüche vom Ausbruch erzählt. Der Horror wird von den Thesen des Films geschluckt, die Thesen schlucken sich selbst. Wenn im modernen Horrorfilm oftmals zu viel ausgestellt und ausformuliert wird, dann kann die Lösung nicht die sein, einfach eine Figur zu entwerfen, die diese Tendenz verkörpert. Wer Macht und Kontrolle kritisieren will, muss in seinen Figuren mehr als Spielfiguren sehen.
Im Abspann ist zu lesen, dass für den Film keine generative KI eingesetzt worden ist. Aber ist das schon genug?