
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
„Greatest Days“ begann sein Dasein als Bühnenmusical, das 2017 in England auf Tour ging und 2019 auch einige Wochen im Berliner Theater des Westens lief. Die Songs, von „Pray“ bis „Relight My Fire“, sind von „Take That“, jener britischen Boyband, die in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre heillose Aufregung unter weiblichen Jugendlichen in ganz Europa auslöste. Bei ihrer Auflösung im März 1996 sollen in England telefonische Seelsorger dabei geholfen haben, heranwachsende Mädchen vom Selbstmord abzuhalten. Doch vielleicht ist das schon ein Zuviel an Information. „Take That“ spielen gar nicht die erste Geige. Wichtig ist vielmehr die Macht der Musik, die dabei hilft, Alltagsprobleme zu bewältigen oder in Traumwelten zu entfliehen. Ein Phänomen, das übrigens für jede Musik-Generation gilt, von den 1950er-Jahren bis heute.
Tagträume mit „The Boys“
Ein langer Prolog entführt den Zuschauer ins nordenglische Clitheroe des Jahres 1993. Die 16-jährige Rachel und ihre vier besten Freundinnen Heather, Zoe, Claire und Debbie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Alle fünf sind große Fans der Boyband mit dem schlichten Namen „The Boys“. Nicht nur, dass sie jeden Song mitsingen können – gelegentlich erscheinen ihnen auch die fünf Jungs in Tagträumen, um bei Alltagstätigkeiten zu helfen oder sie, wie ein griechischer Chor, mit einer Liedzeile zu trösten. Bei einem Live-Konzert der „Boys“ schwören sich die Mädchen, einander nie aus den Augen zu verlieren.
25 Jahre später. Rachel ist Kinderkrankenschwester in einem Hospital. Sie liebt die Kinder und ihren Beruf, mit Schwung gleitet sie über die Flure. Doch irgendetwas scheint in ihrem Leben zu fehlen. Da gewinnt sie bei einem Preisausschreiben im Radio mehrere Karten für das Comeback-Konzert von „The Boys“ im fernen Athen. Etwas zögerlich und ängstlich trommelt Rachel die Clique von damals zusammen. Immerhin haben sie sich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen. Schlimmer noch: Eine von ihnen fehlt.
Im Mittelpunkt steht ein Trauma, das die Freundschaft der Freundinnen zerstört hat – eine Tatsache, unter der vor allem Rachel leidet. Im Folgenden wird es also darum gehen, ob die vier erwachsenen Frauen ihre Freundschaft – trotz aller unterschiedlichen Werdegänge – wiederbeleben können. Für ein Musical ist das schwere Kost, und auch sonst unterläuft Regisseurin Coky Giedroyc die Erwartungen. Einmal haben sich in einer kuriosen Choreographie die „Boys“ in den kleinen Küchenschränken versteckt und reichen der jungen Rachel die Teller an – ein schönes Beispiel dafür, wie sehr das Mädchen die Popmusik nutzt, um seinem hässlichen Alltag zu entfliehen. Die fröhlich-oberflächlichen Songs kontrastieren dabei mit Erfahrungen von Ärger, Verlust und Trauer. Ein anderes Mal gleiten die Sitzreihen eines Busses, mit dem die Mädchen zum Konzert fahren, wie eine Schere auseinander und machen für eine Tanzfläche Platz, auf der sie endlich loslassen können. Originelle Musical-Szenen sind das, die die Konventionen des Genres pfiffig gegen den Strich bürsten.
Die Handlungs- und Zeitebenen verquicken sich
Später dann begegnen die Frauen ihren jüngeren Alter Egos, die Handlungs- und Zeitebenen verquicken sich, und plötzlich ist man sich selbst und der Vergangenheit gar nicht mehr so fremd. Nun könnte man einwenden, dass die Weisheiten und Botschaften, die die Songs von Gary Barlow, dem Schreiber von „Take That“, transportieren, arg schlicht geraten sind und als Lebenshilfe nur bedingt taugen. Rachel und ihre Freundinnen sehen das unter Umständen anders, und das ist es, worum es hier geht: um die Freude und das Gemeinschaftsgefühl, mit denen man als Jugendliche(r) Popmusik erlebt.