Vorstellungen
Filmkritik
Khartum, die Hauptstadt des Sudans, hat 2005 schon einige Jahrzehnte die Folgen der Konflikte im eigenen Land erfahren. Als John Garang de Mabior, der Führer der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), bei einem Flugzeugabsturz sein Leben verliert, brechen Unruhen aus. Sie werden bis 2011 andauern, bis die Bewohner des Südens an der Urne entscheiden, dass der Südsudan künftig ein eigenständiger Staat sein soll. Dauerhaften Frieden hat das nicht gebracht: Kurz vor der Premiere von „Goodbye Julia“ wurde Khartum im Frühjahr 2023 bei erneuten kämpferischen Auseinandersetzungen weitgehend zerstört. Ein Ende, das im Film von Mohamed Kordofani nicht mehr vorkommt.
Kordofani lässt die Erzählung von „Goodbye Julia“ ihren Anfang am Tag des Ausbruchs der Unruhen von 2005 nehmen. Schauplatz ist zunächst ein gutbürgerliches Viertel der Innenstadt. Hier leben in einem solide gesicherten Haus die Sängerin Mona und ihr Gatte Akram. Die beiden sind Nordsudanesen und Muslime. Mona tritt auf Geheiß ihres strenggläubigen Gatten seit ihrer Hochzeit nicht mehr öffentlich auf. Ab und an allerdings schleicht sie sich aus dem Haus und besucht in einen langen Mantel gehüllt und mit Niqab heimlich ein Konzert in einem Musik-Café. Aus Angst, dass ihre Stimme erkannt werden könnte, tritt sie auch verhüllt nicht auf. Doch die Musik und der Gesang sind ihre Passion, am Steuer ihres Autos singt sie manchmal vor sich hin und hört Musik.
Parallel zur Geschichte Monas erzählt Kordofani diejenige von Julia. Julia und ihr Mann Santino stammen aus dem Süden des Landes. Sie sind Christen und haben einen etwa fünfjährigen Sohn namens Daniel. Sie haben sich vor einigen Jahren in Khartum häuslich niedergelassen, werden bei Ausbruch der Unruhen von ihrem Vermieter aber aus ihrer Wohnung vertrieben. Sie finden vorerst Unterschlupf bei Santinos Schwester, die mit ihrer Familie in einer bescheidenen Baracke in einem Lager in einem der Außenquartiere lebt.
Ein kurzer Blick aufs Handy lenkt ab
Hierher verschlägt es Mona, als sie auf ihrem Heimweg von einem kurzfristig abgesagten Konzert in eine Straßensperre gerät und sie einen Umweg fahren muss. Ein kurzer Blick aufs Handy lenkt sie ab, sodass sie den auf der Straße spielenden Daniel anfährt. Ohne sich um den verletzten Buben zu kümmern, fährt Mona davon. Santino hat den Unfall beobachtet. Er schwingt sich auf sein Motorrad und folgt Mona. Dass diese ihrem Mann während der Weiterfahrt per Handy panikartig mitteilt, dass sie von einem „wütenden Südsudanesen“ verfolgt wird, kostet Santino Minuten später das Leben. Den tödlichen Schuss abgegeben hat Akram aus einem kürzlich erst erstandenen Gewehr.
Hätte Mona in diesem Moment den Mut zur Ehrlichkeit, käme es anders. Doch Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind im Arrangement ihrer Ehe nur bedingt vorgesehen. So verschweigt sie Akram das Geschehene und Santino wird als unbekannter Mann, der durch den Schuss eines gleichfalls nicht bekannten Schützen während der Unruhen ums Leben gekommen ist, in einer Massenbestattung unter die Erde gebracht. Ein Verfahren, das aufgrund der Routine Usus zu sein scheint.
Julia aber sucht Santino und befürchtet nach einigen Tagen Böses. Mona versucht zuerst weiterzuleben wie bisher, wird aber zunehmend vom schlechten Gewissen geplagt. Es gelingt ihr, Daniel und seine Mutter ausfindig zu machen. Sie gibt sich ihnen gegenüber als Unfallverursacherin nicht zu erkennen, bietet Mona aber eine Stelle als Haushaltshilfe an. Die enthaltene freie Kost und Logis umfassen auch Daniel.
Akram ist davon nicht begeistert. Doch der Vorfall hat das Verhältnis zwischen den Eheleuten verändert, und der Widerstand fällt gering aus. Als Daniel eingeschult wird, sorgt Mona dafür, dass er eine Schule im Quartier besuchen kann, und übernimmt das Schulgeld. Im Laufe des über Monate und Jahre geteilten Alltags entsteht zwischen Mona und Julia ein tiefes Vertrauensverhältnis, gar eine Art Freundschaft, auch Akram und Daniel kommen miteinander nicht schlecht zurecht. Doch Lügen haben, und davon handelt der zweite, im Jahr 2010 einsetzende Teil von „Goodbye Julia“, auch im Sudan kurze Beine.
Wie in einem Krimi
Die Geschichte von „Goodbye Julia“ baut sich wie in einem Krimi um ein (vertuschtes) Verbrechen und dessen Klärung auf. Die Anliegen, die Mohamed Kordofani in seinem Film tatsächlich beschäftigen, sind aber andere: das soziale Gefälle innerhalb der sudanesischen Bevölkerung, der darauf basierende Rassismus und der gesellschaftliche Umgang damit. Kordofani ist selbst in Khartum aufgewachsen und kannte nach eigenen Angaben außer den Hausangestellten seiner Familie lange Zeit niemanden aus dem Süden des Landes. Er definiert diesen Umstand als gelebte „soziale Apartheid“ und versteht „Goodbye Julia“ als einen Beitrag zur Erhaltung des kollektiven Gedächtnisses von sudanesischem und südsudanesischem Volk.
Für das restliche Publikum ist „Goodbye Julia“ eine Art Geschichtslektion, die auf den fatal miteinander verknüpften Schicksalen der beiden Protagonistinnen aufbaut. Obwohl der Film in einer politisch bewegten Zeit spielt und sich dessen Handlung damit auch verknüpft, werden historische Ereignisse darin nicht groß erläutert. Das macht die Rezeption für Zuschauer, die mit der politischen Geschichte der Region nicht vertraut sind, nicht unbedingt einfach. Was Kordofani in seinem Film hingegen sehr eindrücklich vermittelt, sind Einblicke in eine muslimische Ehe, die getrennten und sich zugleich überschneidenden Lebensräume von Frau und Mann sowie die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Befindlichkeiten von Christen und Muslimen. Die über alle gesellschaftlichen und konfessionellen Grenzen und Gräben hinweg entstehende Freundschaft zwischen den zwei Frauen entpuppt sich dabei sowohl aus persönlichen wie auch aus politischen Gründen als höchst fragil.
„Goodbye Julia“ ist präzise inszeniert, die verschiedenen (Lebens-)Räume sind sorgfältig gestaltet. Obwohl es zwischendurch hektische Momente inklusive einer Verfolgungsjagd gibt und der Krimi-Plot Spannung erzeugt, erzählt Kordofani ausnehmend ruhig und gelassen. Er gibt seinen Schauspielern, vor allem den beiden Hauptdarstellerinnen Eiman Yousif (Mona) und Siran Riak (Julia), viel Zeit und Raum für die emotionale Entwicklung ihrer Figuren. Fast so beiläufig, wie er das politische Geschehen schildert, beleuchtet er dabei die Unterdrückung der Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft. Es sind bedrückende, manchmal auch empörende Szenen. Etwa wenn Akram rüde Monas Handy einfordert, und danach misstrauisch dessen Anrufliste überprüft, oder wenn Mona aus Angst davor, von Akram verstoßen zu werden, verschweigt, dass sie keine Kinder bekommen kann.
Zeichen für Humanität und Versöhnung
„Goodbye Julia“ ist in der ineinandergreifenden Erzählung von Politischem und Privatem anspruchsvoll, wirkt dabei aber sehr glaubwürdig. Ein gelungener Regie-Einstand, der vor dem Hintergrund aktuell weltweit zunehmender politischer Spannungen und kämpferischer Auseinandersetzungen ein Zeichen für Humanität und Versöhnung setzt.