- RegieRichard Attenborough
- Dauer191 Minuten
- GenreDramaBiographieHistorie
- Cast
- IMDb Rating8/10 (209335) Stimmen
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Filmkritik
Großes episches Erzählkino beruht zum einen auf der effektvollen Aufbereitung von Massenszenen und sorgfältiger Rekonstruktion des Lokalkolorits, zum anderen auf Charakteren, die dem Zuschauer ein gewisses, im besten Fall größtmögliches Maß an Identifikation bieten. So gesehen ist es ein Glücksfall, daß Richard Attenborough mit Mahatma Gandhi (1869 - 1948) eine Persönlichkeit von überragendem Ansehen, politischer Bedeutung und geistigem Charisma als Objekt einer monumentalen filmischen historischen Biografie wählte, die er zudem mit Unterstützung der indischen Regierung an den Originalschauplätzen realisieren konnte.
"Gandhi" erzählt, einsetzend mit dem Attentat, dem der Mahatma zum Opfer fällt, in episodenhafter Erzählstruktur die wichtigsten Stationen aus dem Leben Gandhis, der 1 893 als junger Rechtsanwalt in Pretoria, Südafrika, die Rassendiskriminierung des Apartheidstaates kennenlernt, sich mit den Mitteln des gewaltlosen Widerstandes dagegen auflehnt und für die Rechte der indischen Arbeiter kämpft. Er gründet ein `Ashram` (Gemeinde), in der alle gleiche Rechte wie Pflichten haben und kann, trotz wiederholter Verhaftungen, einen Teil seiner Ziele, die Aufhebung von Paßgesetzen, verwirklichen. 1915 kehrt Gandhi nach Indien zurück und tritt für die Unabhängigkeit seines Landes von der Kolonialherrschaft der Briten ein. Mit den in Südafrika entwickelten Methoden der friedlichen Demonstration und der Arbeitsverweigerung durch Fasten und Beten schwächt er die Position der Briten, die mit brutaler Unterdrückung reagieren, etwa im Massaker von Amritsar 1919, bei dem 379 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder erschossen und Tausende schwer verwundet werden. Der Boykott britischer Textilien durch die Förderung handgesponnenen Tuches in indischen Familien (die `home-spun-Idee`), die Verweigerung der Kooperation mit der Besatzungsmacht und der `Salzmarsch` 1930 (241 Meilen zum Meer) als Zeichen beginnender ökonomischer Unabhängigkeit (Salzherstellung für den Eigenbedarf) sind weitere Stationen eines Lebensweges, der immer wieder durch Gefängnisaufenthalte und Fastenaktionen (etwa zugunsten der Unberührbaren-Kaste der Parias) unterbrochen wird. Gandhi kann seine Volksbewegung ausbauen, doch die anfängliche Zusammenarbeit zwischen Hindus und Moslems zerbricht, und als 1947 Britisch-Indien in zwei Staaten, Pakistan (für die Moslems) und Indien, getrennt wird, nennt Gandhi, dessen Fastenaktion den Bürgerkrieg nur zeitweilig unterbrechen kann, dies eine geistige Tragödie. Kurz nach der Unabhängigkeit beider Staaten wird Gandhi am 30. Januar 1948 von einem Hindufanatiker erschossen.
Daß "Gandhi" über drei Stunden zu fesseln vermag, liegt neben der sorgfältigen Rekonstruktion und den Massenszenen, der bemerkenswerten Kameraarbeit und der historischen Detailgenauigkeit (etwa im Nachstellen von Wochenschauaufnahmen) vor allem an der einfühlsamen Porträtstudie von Ben Kingsley, Brite indischer Abstammung, als Mahatma. Seine überzeugende und eindrucksvolle Darstellung, die über 50 Jahre eines Lebens glaubhaft umfaßt und in ihren menschlichen, politischen und geistigen Dimensionen ernsthaft nachzuvollziehen vermag, verleiht dem Film etwas von der Würde, die Gandhi auszeichnete, was sich im ruhigen Erzählduktus des Films widerspiegelt. Die Wandlung vom eitlen Rechtsanwalt zum Asketen und Philosophen, der keine weltlichen Güter besaß und nur Selbstgesponnenes trug, der als Friedensapostel den Weg konsequenten idealistischen Bemühens ging und dabei kontinuierlich an seinen politischen Ideen festhielt, der die Massen begeistern konnte und doch nicht von Selbstzweifeln frei war, ist eine Leistung sondergleichen. Die Charakterisierung Gandhis als Mensch und nicht Held oder Heiliger schließt ein gehöriges und gesundes Maß Selbstironie mit ein.
Selbst Gandhis auch heute durchaus zeitgemäße Botschaften "kommen über": eindeutige Verurteilung imperialistischer und kolonialistischer Machtpolitik - und das in einem britischen Film im Jahr des Falkland-Krieges -, die Verurteilung des Vergeltungsprinzips `Auge um Auge`, die Würde der Arbeit, die Sichtbarmachung sozialer Ungerechtigkeiten, das Bekenntnis, daß "Armut die höchste Form von Gewalt" ist und das Eintreten für die Ideale der Gewaltlosigkeit, der Würde des Menschen, der Wahrheit und des Friedens auf Erden: universaler Glücksvorstellungen. Trotz möglicher Einwände wegen der Personalisierung politischer Bewegungen und Zweifeln an einem nach Führern ausgerichteten Staatsprinzip darf "Gandhi" für sich in Anspruch nehmen, ein sehenswerter humanistischer Film zu sein.