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Filmkritik
Schon ein halbes Leben ist vergangen, als die Ehefrau und Mutter Aniela (Malgorzata Hajewska) sich endlich traut, einfach sie selbst zu sein. Wobei an dieser Entscheidung so ziemlich gar nichts einfach ist, denn ihr Umfeld hält sie für eine Zumutung und vor allem für eine Lügnerin. Aniela wurde einst als Mann geboren, doch Ende der 1970er-Jahre gab es im damals noch kommunistischen Polen keine Begriffe für die Fremdheit, die sie als Transperson im eigenen Körper verspürte. Sie wusste nur, dass sie immer der kleine Junge war, der mit seinen engelhaften Locken auch als Mädchen durchgegangen wäre und bei der Erstkommunion lieber einen Schleier getragen hätte als den schwarzen Anzug. Dieses Gefühl der Fremdheit machte sie verschlossen und einsam. Selbst als sie mit Iza (Joanna Kulig) die große Liebe fand und eine Familie gründete.
Ein Gefühl von Freiheit
Das polnische Regie-Duo Małgorzata Szumowska und Michał Englert erzählt Anielas Geschichte über mehrere Jahrzehnte parallel zu den gesellschaftlichen Entwicklungen in Polen. Zwischen Kommunismus und Katholizismus versucht diese Welt sich selbst zu finden. Papst Johannes Paul II. herrscht seit 1978 im Vatikan; im eigenen Land ist er ein Star, der als Graffiti an Hauswänden ebenso präsent ist wie im Fernsehen. Ende der 1980er-Jahre fällt der Eiserne Vorhang, und mit der Öffnung zum Westen weht auch ein Gefühl der Freiheit durch das Land.
Mit eingängigen Bildern denken Szumowska und Englert die gesellschaftliche und persönliche Transformation zusammen. Noch während vor dem Stadttheater eine Lenin-Statue gestürzt wird, wird vom Dach des Gebäudes ein Werbebanner für die nächste Kinovorstellung von „Pretty Woman“ (1990) mit Julia Roberts entrollt; später läuft „Die zwei Leben der Veronika“ (1991) von Krzysztof Kieślowski. Die verheißungsvollen Möglichkeitswelten, die der Mauerfall für Osteuropa mit sich brachte, spiegeln sich in diesen Filmen wider, aber auch Anielas unausgesprochene Frage, was hätte sein können, wenn sie im richtigen Körper geboren worden wäre.
Testosteron oder Kleidertausch
Schon früh sucht sie Ärzte auf und wird wegen vermeintlicher Potenzprobleme behandelt. Testosteron und eine gesunde Frau, rät der eine Arzt, Rollenspiele und Kleidertausch mit der Ehefrau der andere. Das habe schon vielen Männern geholfen. Anielas Existenz ist aus der Perspektive ihres Umfelds eine Normabweichung und damit eine Zumutung. Nur langsam versteht sie, dass es vor allem sie selbst ist, der ein Leben zugemutet und aufgezwungen wird.
Szumowska und Englert haben für den Film eng mit der queeren Community in Polen zusammengearbeitet und diese in alle Bereiche der Produktion miteinbezogen – in einem Land, dessen Regierung auch heute noch die Rechte von queeren Menschen mehr einschränkt als schützt. Das hatte direkte Auswirkungen auf die Produktion von „Frau aus Freiheit“. Da in Polen Transpersonen bis heute nicht zum Schauspielstudium zugelassen sind, wurde die Hauptrolle mit der Cis-Frau Małgorzata Hajewska-Krzysztofik besetzt.
Der Fall macht deutlich, worum es in der Diskussion über die Repräsentanz im Film geht: Nicht das Schauspiel an sich steht hier zur Debatte. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen und Leben hineinzuversetzen, ist und bleibt Teil der Kunst. Das einfühlsame Spiel von Hajewska-Krzysztofik macht das mehr als deutlich. Doch wenn ganzen Bevölkerungsgruppen der Zugang zu Berufen und Ressourcen verwehrt wird, muss jeder Versuch, Sichtbarkeit zu schaffen, auf der Stelle treten. Das oft angeführte Argument, es gebe kaum Darsteller und Darstellerinnen für Rollen aus gesellschaftlichen Minderheiten, wird damit zur höhnischen Täter-Opfer-Umkehr.
Mit vorwurfsvoller Beiläufigkeit
Auch aus diesem Grund basiert Anielas Geschichte nicht auf einer spezifischen Person, sondern ist das Kondensat aus unzähligen Gesprächen und Erzählungen. Das wirkt nie übertrieben oder klischeehaft, weil die Inszenierung sich nicht auf die Handlungsebene konzentriert, sondern mehr die tiefen emotionalen Belastungen herausarbeitet, denen sich Transpersonen oft stellen müssen. Vor allem die vorwurfsvolle Beiläufigkeit, mit der Anielas Umfeld ihre Bedürfnisse übersieht und übersehen will, ist auch beim Zusehen schwer zu ertragen.
Um mit dem Prozess der Geschlechtsangleichung zu beginnen, so will es das Gesetz, muss Aniela zunächst ihre Eltern verklagen und sich von ihrer Frau scheiden lassen, weil gleichgeschlechtliche Ehen in Polen nicht zulässig sind. Doch nicht Anielas Existenz ist die Zumutung, sondern ein System, das sie dazu zwingt, geliebte Menschen vor den Kopf zu stoßen, um für ihre Akzeptanz zu kämpfen. Erst spät im Leben sagt jemand zu Aniela, dass sie normal sei. Ein Psychiater bestätigt ihr, dass ihre Wahrnehmung, im falschen Körper zu leben, keine psychische Krankheit ist. Ihr Wunsch nach einer Geschlechtsangleichung sei berechtigt. Ihre erste Reaktion: „Ist es nicht zu spät?“ Als der Arzt das verneint, entspannt sich ihr Körper zum ersten Mal.