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Filmplakat von Filmstunde 23

Filmstunde 23

83 min | Dokumentarfilm | FSK 12
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Im Jahr 1968 verwandelt sich das Klassenzimmer eines Münchner Mädchen-Gymnasiums unter der Leitung des Jung-Regisseurs Edgar Reitz in ein Filmstudio. Die "Filmstunde" beginnt: der in der Filmgeschichte erste dokumentierte Versuch, Filmästhetik als eigenständiges Fach zu unterrichten. 2023: Edgar Reitz, der weltberühmte Regisseur der Heimat-Trilogie, wird von einer älteren Dame angesprochen. Sie gibt sich als eine seiner damaligen Schülerinnen zu erkennen. Sie verabreden ein Klassentreffen. Montiert aus einem Dokumentarfilm über das damalige Projekt, den Super-8-Filmen der Schülerinnen und dem gefilmten Wiedersehen im Jahr 2023 entsteht eine Art Langzeitbelichtung der letzten 55 Jahre Filmgeschichte. Was hatten diese Frauen in der langen Zeit erlebt und welche Rolle spielte die Filmkunst in ihrem Leben? Zeigte sich der Keim ihrer Persönlichkeit bereits in dem kleinen Übungsfilm? Und was sagen die Damen heute zur Filmkultur der Gegenwart? FILMSTUNDE_23 ist eine Liebeserklärung an das Filmemachen und ein Appell, Filmbildung endlich in die Schulen zu bringen. Ein Film über Lebenszeit und die immer noch unerlösten Möglichkeiten der Filmkunst.
„Solange Film nicht an der Schule gelehrt wird, nehmen wir die wichtigste Revolution der menschlichen Bildung nicht zur Kenntnis.“ Béla Balász
  • RegieJörg Adolph, Edgar Reitz
  • ProduktionsländerDeutschland
  • Produktionsjahr2024
  • Dauer83 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • AltersfreigabeFSK 12
  • IMDb Rating8.1/10 (26) Stimmen

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Passage Kinos Leipzig
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Broadway Trier
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Burgtheater Ratzeburg
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Monopol Kino München
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Kamera Filmkunsttheater Bielefeld
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Neue Kammerspiele Kleinmachnow
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Rio Filmtheater Mülheim
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Cinema Quadrat Mannheim
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68159 Mannheim

Filmkritik

Die „Filmstunde“ beginnt vor einem alten Schulbau, dem Luisengymnasium in München. Beinahe palastartig sieht er aus, ganz im Stil des späten 19. Jahrhunderts, als dieses Gebäude erbaut wurde. Die älteren Frauen, die sich dort treffen, sind um die 70 Jahre alt. Sie stellen sich genau an der gleichen Stelle auf, an der 55 Jahren zuvor ein Klassenfoto entstand, das im Bild zu sehen ist. Angeleitet werden sie nicht, wie damals, von ihrer Lehrerin, sondern von Regisseur Edgar Reitz. Der traf im Frühjahr 1968 am Luisengymnasium, das damals noch eine reine Mädchenschule war, eine Klasse mit 13- und 14-jährigen Mädchen für ein in Deutschland bis heute einmaliges Experiment. Reitz, einer der Pioniere der „Oberhausener Gruppe“ und des Jungen Deutschen Films, unterrichtete die Heranwachsenden zwei Monate lang in Film in Theorie und Praxis. Seitdem haben die Schülerinnen und ihr Lehrer, wie Reitz es ausdrückt, „55 Jahre lang, ohne dass wir es direkt gewusst haben, doch miteinander Zeit verbracht.“

Es geht ums Ganze – des Kinos wie des Lebens

Die Geschichte dieses Experiments und seiner Folgen rekapituliert „Filmstunde_23“ in einer Mischung aus Archivmaterial, dokumentarischen und essayistischen Passagen. Es ist, wie man gerne sagt, ein „kleiner Film“. Denn es geht ja nur um ein paar Alltagsmenschen, Jugendliche, die nicht weiter berühmt sind, und die gerade mal zwei Monate lang ein bisschen was mit Film zu tun hatten – eine scheinbar beliebige, allenfalls durch Nostalgie zu rechtfertigende Geschichte. Tatsächlich ist „Filmstunde_23“, wie Reitz selbst sagt, „ein Zufallsprodukt“, das nur dadurch zustande kam, weil eine der damaligen Schülerinnen den Regisseur am Rande eines Konzerts ansprach und ihm davon erzählte, dass sich die Klasse seit über 50 Jahren regelmäßig trifft.

„Filmstunde_23“ ist aber ein ganz großer Film, wenn man seinen ästhetischen Ansatz und sein Sujet ernst nimmt. Denn es geht hier ums Ganze: Das Ganze des Kinos, seiner Ausdrucksmittel wie seines Wesens, aber auch das Ganze des Lebens, die Frage nach Konstanz einer Person über die Jahrzehnte der Lebenszeit hinweg und nach der Möglichkeit, durch den Film der Endlichkeit menschlicher Erfahrungen eine Dauer und vielleicht eine Art von Ewigkeit zu verleihen.

Der 90-jährige Edgar Reitz entpuppt sich in „Filmstunde_23“ nicht nur als hellwacher, souveräner und erstaunlich jung gebliebener Filmemacher, sondern als ein avancierter Theoretiker der Filmbildung und als Philosoph des Kinos. Zwei zentrale Sätze rahmen den Film und bestimmen seine beiden gegenläufigen Richtungen. Der erste stammt vom ungarisch-deutschen Regisseur und Filmtheoretiker Béla Balázs: „Solange Film nicht an der Schule gelehrt wird, nehmen wir die wichtigste Revolution der menschlichen Bildung nicht zur Kenntnis.“ Und am Ende verweist Reitz auf einen Satz des französischen Regisseurs Chris Marker: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich die Menschen früher erinnert haben, als es noch nicht den Film gab“, und ergänzt: „Wir leben in einer anderen Welt als die Menschen damals, bevor es den Film gab.“

Alle Schülerinnen erhielten eine Super-8-Kamera

Zwischen diesen beiden Sätzen liegt der Filmunterricht von Reitz. Der lehrte damals an der allerersten Filmschule der Bundesrepublik, der „Ulmer Hochschule für Gestaltung“, und wollte seine Vorstellung eines für alle Altersgruppen und Gesellschaftsklassen zugänglichen Filmunterrichts in die Praxis umsetzen. Die Anfrage der Münchner Klassenlehrerin führte zu den zwei Monaten am Luisengymnasium. Reitz wurde von einem Team um den Kameramann Thomas Mauch begleitet, und händigte in einer der ersten Unterrichtsstunden an jede seiner Schülerinnen eine leicht bedienbare Super-8-Kamera aus. Dadurch entstanden die Bilder, die diesen Film tragen, und die seinerzeit auch in eine Fernsehdokumentation des Bayerischen Rundfunks eingingen.

Es sind Bilder von einer wunderbaren, geradezu magischen Unschuld. In ihnen sind die gesellschaftlichen Utopien von 1968 und der Aufbruch einer Epoche spürbar, in der auch die jungen Münchnerinnen ihre Zukunft optimistisch und als überaus offen wahrnehmen; sehr freimütig begehren sie gegen die traditionalistischen Vorstellungen ihrer Eltern und der sie umgebenden Lebensumstände auf. In Ausschnitten sieht man die Filme, die die Mädchen im Verlauf der nächsten zwei Monate selbst gedreht haben. Darin kommt alles vor, weil fast alles möglich war: zwischen braver Arbeitsdokumentation und teilnehmender Beobachtung der Lebensumstände der Familie oder des Bruders beim Fußballspiel im seinerzeit noch wenig bebauten Münchener Stadtteil Feldmoching, ebenso wie kleine Spielfilme.

Besonders interessant sind die Schilderungen persönlicher Befindlichkeiten, der Gefühle, Hoffnungen und Ängste. Wie in einer Zeitkapsel enthalten diese alltäglichen Autorenfilme entschwundene Augenblicke und Bewusstseinsstadien einer vergangenen Zukunft wie der kommenden Vergangenheiten um 1970.

Jeder Mensch kann Filme machen

Das eigentliche Zentrum von „Filmstunde_23“ ist aber der Unterricht selbst. Edgar Reitz ist ein sehr guter Lehrer, wie ihn sich jeder cinephile Zuschauer nur wünschen könnte. Er erklärt geduldig, hat keine schnellen Antworten, und lenkt seine Schülerinnen mehr durch kluge Fragen oder durch das Zeigen.

„Jeder Mensch kann Film machen.“ Von dieser Überzeugung aus zeigt, nicht „erklärt“ Reitz auch uns heutigen Zuschauern sinnlich und voller Lust am Konkreten, dass Film eine Mitteilungsform ist. Er zeigt Kameratechniken und Möglichkeiten der Montage, räsoniert über das Verhältnis von Bild und Wort. Er diskutiert mit den Schülerinnen die Vor- und Nachteile des Autorenkinos. Wiegen Souveränität und Freiheit des einzelnen Künstlers stärker als die Berücksichtigung des Teamgedankens? Ist das Plädoyer für Gleichheit und Mitsprache nur ein Vorwand, um Kunstfreiheit ökonomischen Interessen unterzuordnen?

Manche von Reitz’ 55 Jahre alten Aussagen sind nur vergessen worden, aber heute aktueller als damals: „Wenn man bedenkt, dass die meisten Erwachsenen, auch wenn sie eine höhere Schulbildung haben oder Akademiker sind, in ihrem Leben nicht so viele Bücher lesen, wie sie Film und Fernsehen kennen, dann haben wir in Bezug auf diese Sprache Film eine Art Analphabetentum.“

Aber: „Die Vermittlung des rein technischen Fachwissens über Film ist wesentlich einfacher, als die Filmbranche mit ihrer Zunftmentalität es je zugeben wollte. Ein halbwegs intelligenter Mensch kann die Tricks und Berufsgeheimnisse der Filmleute in kurzer Zeit mühelos erlernen. Schwieriger ist die Einsicht in die gedankliche Konsequenz des Filmemachens und am allerschwierigsten die Öffnung des Zugangs zu sich selbst.“

Darum gilt: „Jeder Mensch, der den Willen und die Konsequenz hat, sich mit dem Mittel Film auszudrücken, soll gefördert werden. Damit der Film eines Tages eine der Literatur vergleichbare allgemeine menschliche Sprache wird. Die Konsequenz dieser Forderung ist, bereits in den Schulen Film zu unterrichten.“

Ein Medium der Ermächtigung

„Filmstunde 23“ beglaubigt solche Aussagen. Dieser wunderschöne, kluge und ungewöhnliche Film zeigt, wie aus Passivität Aktivität wird. Wie die Kamera zum Medium der Ermächtigung werden kann. Das zeigt sich auch daran, dass der Filmunterricht die Klasse zu einem außergewöhnlichen Zusammenhalt finden ließ, wie die älteren Damen im Film übereinstimmend resümieren.

Am Ende dieser filmischen Zeitreise steht so das „kollektive Fluidum“ (Reitz) der gemeinsamen Erfahrung des Filmens und die Aktivierung der Schülerinnen, die durch ihr Filmen auch das Sehen und – so suggeriert es „Filmstunde_23“ – ein anderes Leben lernten. Das Kino als Schule des Lebens – hier ist es!

Erschienen auf filmdienst.deFilmstunde 23Von: Rüdiger Suchsland (5.2.2025)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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