- RegiePatrick Muroni
- ProduktionsländerSchweiz
- Produktionsjahr2022
- Dauer96 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- IMDb Rating6.0/10 (35) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Das französische Wort „plaisir“ umfasst in der deutschen Übersetzung einen verhältnismäßig großen Deutungsbereich: Freude und Vergnügen, aber auch Genuss, Lust, Wonne und Behagen. Für die fünf queeren Frauen des Filmkollektivs „Oil Production“ aus Lausanne ist „plaisir“ der Leitgedanke ihres Tuns und schließt den Spaß bei der Erstellung ihrer Filme ebenso mit ein wie die erhoffte Wirkung beim Publikum. Angeödet und angeekelt von den üblichen Pornofilmen beschlossen sie, einen anderen Weg zu gehen. Sie stellten einen Kodex auf, in dem die Regeln für ihr „ethisches und dissidentes“ Pornofilm-Konzept festgehalten wurden. Dazu gehört vor allem, dass die Mitwirkenden authentisch sein sollen bei dem, was sie tun und wie sie es tun. Dafür benötigen die Beteiligten jedoch Schutz und Sicherheit, denn echte Lust braucht einen „Safe Place“, so die These der Macherinnen. Auch deshalb haben die Mitwirkenden viel Mitspracherecht bei den Dreharbeiten.
Auf dieser Grundlage entstanden meist queere Pornofilme mit wenig Aufwand und viel Fantasie. Oft wird mit mehreren Handykameras gleichzeitig gefilmt, so dass ein und dasselbe Motiv aus verschiedenen Perspektiven gezeigt werden kann. Teilweise werden die Filme vor einem Live-Publikum gedreht, was den Aufnahmen eine gewisse Theatralik gibt. Es existieren keine festen Drehbücher; der Filmschnitt wird im Kollektiv erstellt. Die fertigen Filme sind visuell interessant, lassen sich aber mit professionellen Filmwerken kaum vergleichen. Und das liegt nicht am Sujet.
Eine Bar in der Nacht
Der Filmemacher Patrick Muroni, der über die Freundschaft mit einer der Frauen auf die Idee zu diesem Film kam, beginnt seinen beobachtenden Dokumentarfilm mit nächtlichen Aufnahmen aus einer Stadt, die komplett dunkel und verlassen wirkt. Lediglich ein einziger Ort ist belebt: eine Bar, in der sich Menschen in unterschiedlichen Stadien der Nacktheit bewegen. Viele tragen S/M-Masken, manche filmen mit ihren Handys. Vor der Disco stehen drei übermütige Frauen, leicht angetrunken – es sind drei Mitglieder des Pornofilm-Kollektivs. Doch dies ist nicht der Einstieg in eine durchgängige Handlung; die gibt es nicht. Eine der drei Frauen wird im Anschluss vorgestellt. Meli arbeitet in einem Käsegeschäft in Fribourg. Dass sie nebenbei Pornos dreht, weiß ihr Chef nicht.
Auch hier könnte sich so etwas wie eine Handlung herausbilden, doch Meli, die oft als Kamerafrau bei den Porno-Drehs fungiert, bleibt die Einzige aus dem Frauenkollektiv, die ausführlich über sich selbst spricht. Meli wird so etwas wie die Hauptperson in einem Dokumentarfilm, der Alltagsszenen, Interviewsituationen, Dreharbeiten, Aufzeichnungen von Fernseh- oder Radio-Interviews und Produktionstreffen ziemlich wild kombiniert, sodass eher Stimmungsbilder entstehen als eine Geschichte.
Vieles wirkt improvisiert
Es hätte sich vielleicht angeboten, einen Pornofilm von der Planung über die Dreharbeiten bis zur Fertigstellung zu begleiten. Doch Muroni zeigt die Frauen lieber beim Filmemachen, was ihnen erkennbar Spaß macht. Sie alle wollen weg vom Mainstream-Porno und sind vielleicht auf dem Weg zu einer eigenen filmischen Ästhetik; öfters scheint es aber eher so, als ob sie sich hinsichtlich der filmischen Mittel noch in einer Experimentierphase befinden. Vieles wirkt improvisiert. Alle Beteiligten sind aber mit Engagement und Leidenschaft dabei. Erst zum Ende hin machen die Frauen wirklich etwas gemeinsam: Sie fahren an einen Bergsee, um einen Porno zu drehen. Ohne dass es explizit gesagt wird, stellt dieser Film wohl auch das Ende des Kollektivs dar. Die Dreharbeiten entwickeln sich zum lebensfrohen Statement der kleinen Gruppe und zu einem gelungenen Abschluss der Dokumentation.
Dass sie mit ihrer Arbeit über die Stadtgrenzen von Fribourg hinaus bekannt wurden, verdanken die Frauen wohl auch der Tatsache, dass es ihnen um Sex in einer feministisch-queeren Version geht. Ihr Ziel war eigentlich nur, Pornofilme zu drehen, die ihnen selbst gefallen – Filme, in denen es um authentische Lust geht und nicht um mehr oder weniger gut gespielte Erregungszustände. Die Aufmerksamkeit, die sie erfahren, ist für sie eine Überraschung. Ihre positive Herangehensweise an Sex, Nacktheit und Pornografie hat viel mit Respekt und Würde zu tun, aber auch mit Zärtlichkeit und Zuneigung. Untereinander ist die Kommunikation offen und freundlich, auch wenn manchmal etwas danebengeht. So wird über einen unfertigen Film diskutiert, der misslungen ist und deshalb nicht fertiggestellt wurde. Erfreulich auch, dass die Darstellerinnen und Darsteller allesamt keine Model-Körper haben. Manchmal wird die Dokumentation sogar humorvoll, etwa wenn ein Darsteller über sich selbst sagt: „Ich arbeite seit sechs Jahren in der Erotik.“, nachdem er sich beim Masturbieren redlich abgemüht hat.
Ein Film übers Filmemachen
Auch wenn es um Pornografie geht, ist „Fierce – A Porn Revolution“ eher ein Film übers Filmemachen. Der Film bietet im Umgang mit Sex in Wort und Bild auch relativ wenig Stoff für voyeuristische Blicke. Nur wenige Szenen zeigen explizite Bilder, alles erscheint etwas abgemildert. Dabei ist fast alles vertreten, was Spaß und Lust macht: Sex mit Männern und Frauen, S/M in einer eher zahmen Variante, ein bisschen Bondage, aber alles sehr diskret. Hin und wieder gibt es einen Dreier oder Vierer, da wird es dann schnell unübersichtlich. Wenn die Frauen über Sex sprechen, dann locker und unverkrampft, aber immer praxisbezogen: „Der Stress der Einzelbegegnung entfällt bei der Orgie“, heißt es dann. Hier geht es also keinesfalls um Romantik, sondern zur Sache.