- RegieAsli Özge
- Cast
- TMDb Rating4/10 (1) Stimmen
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Filmkritik
Der 90-jährige Faruk Özge steht in seiner Wohnung, neben ihm ein Marilyn-Monroe-Poster. Monroe trägt auf dem Kopf eine Kochmütze, neigt sich mit nackten Schultern zur Torte vor ihr und haucht mit gespitzten Lippen die Kerze aus. Es gibt viele Bilder von Monroe beim Kerzenausblasen; es ist eine bewährte Pose. Der rüstige Greis daneben erhält indes hörbar Regieanweisungen: Muskeln anspannen! Bizeps! Der welke Körper tut sein Bestes. Tanzen soll er auch noch!
Faruk vollführt brav und ohne allzu großen mimischen Ehrgeiz, was die Regisseurin Aslı Özge von ihm will, schließlich ist sie seine Tochter. Aber manchmal muss die Filmemacherin korrigierend eingreifen. Etwa wenn der Vater ein Dokument nur pantomimisch unterschreibt, anstatt einen Stift zu nehmen und damit wirklich zu schreiben, wie es im Drehbuch steht. Oder wenn er bei einer Demonstration gegen ein Neubauprojekt inmitten klatschender Menschen nur lautlos die Hände aufeinander zubewegt. Merkt doch keiner. Wozu sich anstrengen? Dann kommt die Regisseurin ins Bild und ermahnt ihn: „Papa! Richtig klatschen!“
Ein halbdokumentarischer Film
Die seit mehr als zwanzig Jahren in Berlin lebende Regisseurin Aslı Özge hat mit „Faruk“ ihren Vater zur Hauptfigur eines halbdokumentarischen Films gemacht. Der alte Mann soll aus seiner behaglich vollgestellten Istanbuler Wohnung ausziehen, weil das Mietshaus abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. In zwei Jahren darf er dann wieder einziehen, wenn er will und es sich leisten kann. Für die Zeit dazwischen muss er sich etwas anderes suchen.
Bei Besprechungen mit der Gebäudeverwaltung verrät sein Gesicht nicht, wie es ihm dabei geht. Das tut dann ein Zwischenschnitt auf eine Tierdokumentation im Fernsehen. Da sieht man zwei Löwen, die sich in ein Gnu verbissen haben. „Es versucht aufzustehen, doch es ist zwecklos“, hört man den Sprecher aus dem Off.
Faruk erfährt, dass finanzielle Interessen dahinterstecken, also der alte Raubtierkapitalismus, nur sozial verbrämt. Baufirmen wollen an Gelder heran, die sie für die „urbane Transformation“ erhalten, vorgeblich, um das Viertel für Erdbeben sicher zu machen. Doch wohin soll ein Witwer auf seine alten Tage ziehen? Kann er sich nicht dagegen wehren? Hilft es vielleicht, wenn die Tochter einen Film darüber dreht? Wenn sie das verwitterte Gesicht plötzlich in Nahaufnahme zeigt und darüber melodramatische Celloklänge legt? Oder wenn beim Aufräumen alte Super-8-Filme auftauchen, die Faruk beim Tanzen mit seiner in die Kamera lächelnden Ehefrau zeigen? Muss man das einem alten Menschen wirklich antun?
Lauer falsche Fährten
Doch das sind lauter falsche Fährten. Auf Mitleid, Anprangern oder Erschütterung hat es der Film „Faruk“ nicht abgesehen; dafür sind die Hauptfigur und die Inszenierung viel zu gerissen. Ähnlich wie zuletzt in ihrem gruppenpsychologisch fein schattierten Drama „Black Box“ über einen abgeriegelten Berliner Mietshauskomplex vermag es die Regisseurin, Fragen um Schuld und Macht, aber auch um Anpassung, Zwang und Selbstbehauptung neue Facetten zu entlocken, ohne sich auf simple Thesen reduzieren zu lassen.
Faruk trottet lange als lakonischer Held durch den Film. Selbst behördlich angeordnete Tests seiner geistigen Gesundheit absolviert er mit der Coolness dessen, der genau weiß, dass er nicht unzurechnungsfähig ist. Eigentlich will er nur in Ruhe die halbnackten Blondinen im Fernsehen sehen und ab und zu mit seinem Kumpel plaudern. Als er doch noch gezwungen wird, sich von vielem zu trennen, was als „Ballast abwerfen“ schöngeredet wird, bleiben Faruk und der Film auf wackeliger Distanz zu den Geschehnissen. Faruk verweigert sich, das Rumpelstilzchen zu geben, und fliegt lieber ans Meer. Irgendwann ist es ja auch mal gut mit den Verwaltungsakten, dem Bieterwettstreit und den Ansagen der Tochter. Ein Entkommen gibt es natürlich trotzdem nicht.
Bis zur letzten, bösen Pointe
„Faruk“, der dem Protagonisten nach dessen realen Erlebnissen auf den Leib geschrieben ist, scheint im Vergleich zu Özges bisherigen Filmen einen ungewohnt heiteren Ton anzuschlagen. Das liegt vor allem an dem stoischen Alten und dem immer wieder sichtbaren Drehprozess samt Outtakes, was für einige Situationskomik sorgt. Dennoch fühlt sich das oft seltsam an: Wenn eine Regisseurin ihren betagten Vater mit nacktem Oberkörper filmt, wie er ungelenke Moves vollführt, oder wenn er bei der Zeitungslektüre die Bikiniregion eines Models buchstäblich unter die Lupe nimmt, wird der Senior da nicht der Lächerlichkeit preisgegeben? Wird er nicht, wie Monroe, benutzt? Ist er mit seinen Wünschen und Bedürfnissen dem Inszenierungswillen der Tochter nicht ähnlich ausgesetzt wie den profitorientierten Bauunternehmen?
Die Gegenüberstellung „gute“ Tochter und „böse“ Gentrifizierung geht bis zur letzten, schön bösen Pointe jedenfalls nicht so leicht auf, denn Film- und Bauvorhaben verschränken sich plötzlich. Letztlich dreht sich alles doch nur um Schotter.