









Vorstellungen










Filmkritik
Es gibt ein Alter, da sind das Bedürfnis nach Assimilation und der widerstrebende Wunsch nach Individualität besonders groß. Gerade Heranwachsende pendeln oft schmerzhaft zwischen den beiden Polen „Anpassung“ und „Ausscheren“. Kein Wunder also, dass sich dieser Wunsch, etwas Besonderes zu sein, auch im Erfolg von Literatur und Film abzeichnet: Von „Harry Potter“ über „Die Schule der magischen Tiere“ bis hin zur erfolgreichen Kinderroman-Reihe „Ein Mädchen namens Willow“ wird die eigene magische Abstammung aufgedeckt, es wird auf Teufel komm raus gezaubert und gehext, auch um beunruhigende Herausforderungen der Zukunft handhabbar zu machen. Eigentlich aber sehnen sich die Ausgeschlossenen nach Anschluss bei den Altersgenossen.
Geheimnisse im Schatten der Bäume
So auch Willow (Ava Petsch), Tochter einer früh verstorbenen Mutter und eines etwas chaotischen Vaters der Marke „Viele nennen es angebrannt, ich nenne es Röstaroma“. Willow würde eigentlich gerne einfach nur ankommen – im Haus ihrer kürzlich verstorbenen Tante Alwina und in der neuen Schule, in der die Neue mit den dunkelroten Haaren allen suspekt erscheint. Von Alwina hat Willow den Wald vor der Tür geerbt – mit einem Fuchs, der die Elfjährige gleich mal in die Schatten der Bäume entführt. Hier warten neue Glücksgefühle und Geheimnisse darauf, entdeckt zu werden: ein alter Mammutbaum mit baumelnden Schlüsseln, ein von selbst spielendes Klavier.
Wundersame Ereignisse, die Willow relativ unaufgeregt hinnimmt, bis sie in einer romantisch-versteckten Hütte eine Truhe mit Amuletten und einem Zauberbuch entdeckt. Daraus entspringt der Blättermensch Grimmoor, mit zwei M und zwei O, und verkündet, dass Willow nicht alleine ist: Irgendwo im Ort warten drei etwa gleichaltrige Junghexen darauf, dass ihre Zauberkräfte der vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde endlich kanalisiert werden. Erst dann könne das Hexen-Quartett seine ganze Kraft entfalten.
Und diese Unterstützung ist auch nötig, schließlich hat ein perfide agierendes Immobilienmakler-Paar namens Geier & Geier Willows verschuldetem Vater bereits ein lukratives Kaufangebot unterbreitet. Das Motto lautet: Abholzen, Planieren, Shoppen. Der wilde Wald soll einem riesigen Einkaufszentrum weichen – mit großem Parkplatz. Letztlich geht es hier auch um den Kampf der jungen Generation für den Erhalt der Natur und gegen den Konsumismus und das Profitstreben der Alten. Ein Generationenkonflikt, wie er von „Fridays For Future“ seit Jahren auf die Straße getragen wird. Einfache Lösungen, wie die Aufnahme einer Haushypothek durch Willows Vater oder die Beantragung von Ratenzahlung der fälligen Erbschaftssteuer, werden gar nicht erst erwogen.
Mit viel Willen zum Klischee
Diese Geschichte hat das Herz also am rechten Fleck, wirkt aber etwas zu generisch und ungenau, um dieses so richtig ins Schlagen zu bringen. Das mag Kinder und Jugendliche im Zielgruppenalter nicht stören, federt aber auch den Eindruck nicht ab, dass mit viel Willen zum Klischee auch mal der schnelle Lacher generiert werden soll. Die Überzeichnung der überdrehten Immobilienmakler mag noch durchgehen. Schwierig wird es, wenn man als Geschichte über Außenseitertum selbst Nebenfiguren mit Attributen aufführt, die nach Ausschluss schreien und in Willows Vater Fluchtimpulse auslösen. Aufdringlich und in floralen Mustern klingelt es eines Tages an der Tür, und die ehemalige Freundin der Familie, Gundula (Diana Amft), überzieht alles mit ihrer ichbezogenen Esoterik, während sie sich schwergewichtig an den Küchentisch pflanzt. Die kleine Lotti (Mary Tölle) dagegen, als einziges schwarzes Mädchen des Hexenquartetts, fungiert ausgerechnet als Beherrscherin des als fruchtbar und dunkel assoziierten Elements Erde. Sie ist die Einzige, die ihre Zauberkraft nicht sofort unter Beweis stellen kann, sondern erst einmal unter den Fittichen der anderen agieren muss.
Solch unreflektierte Figuren-Attribute mögen der Vorlage geschuldet sein. Man hätte sie in der Filminszenierung aber auch etwas abfedern können. Zumal „Willow“-Autorin Sabine Bohlmann am Drehbuch mitgeschrieben hat. Mike Marzuk zumindest gilt als Regisseur und Drehbuchautor von unsäglichen Jugendfilmen wie „Verrückt nach Fixi“ und dem viel kritisierten Indianerfilm „Der junge Häuptling Winnetou“ auch nach seiner Inszenierung von fünf „Fünf Freunde“-Filmen nicht unbedingt als der Feinfühligste, was Zwischentöne und die Vermeidung von Klischees angeht.
Geschichte und Figuren dürften vielen Eltern als Kino-Begleitung dabei sehr geläufig sein, wenn sie mit den langjährigen US-Serien „Buffy“ und „Charmed – Zauberhafte Hexen“ sozialisiert wurden. In „Charmed“ finden drei Schwestern im Haus der verstorbenen Großmutter zusammen, um dort auf dem Dachboden im „Buch der Schatten“ ihre Abstammung als Hexen zu entdecken. Jede Schwester besitzt eine andere Art der Magie. Nur gemeinsam entwickeln sie ihre volle Schlagkraft. In „Buffy“ war die beste Freundin der Vampirjägerin ein rothaariges Mädchen namens Willow – eine Hexe.
Hexen-Dasein als großer Zauberspaß
Auch das rothaarige „Mädchen namens Willow“ und ihre drei magischen Schwestern dienen in der glatten Verfilmung dem Zeitgeist der Unterhaltung. Den Status Hexe über die Beschimpfung durch die „Klassen-Bitch“ hinaus historisch einzuordnen, daran hat der Stoff kein Interesse. Vom frauenfeindlichen Hexerei-Vorwurf, der nicht nur über die Jahrhunderte des Mittelalters hinweg für einen Massen-Femizid sorgte, sondern in manchen Ländern immer noch brandgefährlich ist, ist hier nichts zu spüren. Für die vier Mädchen ist das Hexen-Dasein vor allem ein großer Zauberspaß, verbindender Faktor und Trost der Besonderheit im Außenseiter-Status. Bild und Ton frönen unterdessen der Farbenpracht und dem ungetrübten Wohlbefinden – zielgruppenkompatibel eben. Wobei immerhin die Themen Freundschaft und Naturverbundenheit nach vorne geschoben werden.