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Filmkritik
In der Zeit nach (und zwischen) den „Harry Potter“-Bänden war es für lesehungrige Jugendliche schwer, eine halbwegs akzeptable Ersatzlektüre zu finden. Kaum eines der vielen Bücher, die urplötzlich auf der Welle von Fantasy, Zauberei und magischen Parallelwelten mitschwimmen wollten, hielt dem kritischen Urteil, aber auch dem gewachsenen Anspruch an erzählerische Solidität stand. Tolkien war längst abgegrast, Philip Pullmans „His Dark Materials“-Trilogie ansatzweise schon (glücklos) verfilmt („Der goldene Kompass“, fd 38 491); da fanden allenfalls noch Jonathan Strouds herrlich ironische „Bartimäus“-Bände oder Cornelia Funkes „Tintenwelt“ Gnade bei den ambitionierten jungen Lesern – und eben die Romane von Suzanne Collins’ dystopischer Fantasy-Trilogie „Die Tribute von Panem“. Auch hier wird im Grunde „nur“ ein Patchwork aus längst vertrauten Genreelementen geschickt neu angerührt: Archaisch-antike Gladiatoren-Kämpfe à la „Spartacus“ und „Ben Hur“ (wie sie bereits asiatische Mangas in zeitgenössischem Ambiente wiederentdeckt hatten) treffen auf George Orwells totalitären Überwachungsstaat, und das in einer medialen Zukunftswelt, in der technisch nahezu alles möglich ist und zur Verführung, Manipulation und Kontrolle willfähriger Massen angewandt wird. Doch die Versatzstücke sind eben nur das eine. Suzanne Collins nahm in ihren Büchern vor allem ihr junges Zielpublikum jederzeit ernst, indem sie ihnen eine komplexe, raffiniert mehrere Ebenen verschachtelnde Handlung um eine glaubwürdige weibliche Identifikationsfigur anbot. So verbirgt sich hinter der vermeintlich spekulativen „Tagline“, dass hier nun Jugendliche ums nackte Überleben kämpfen, indem sie sich gegenseitig umbringen, eine vielschichtige, geschickt verdichtete Auseinandersetzung mit jugendlicher Orientierungssuche, mit individueller wie kollektiver Freiheit, Aufrichtigkeit, Respekt und Empathie – und das in einer heute schon recht vertraut erscheinenden Zeit, in der Gefühle von Liebe bis Mitleid, Trauer bis Hass in Musik-, Talk- und Casting-Showformaten gnaden- und distanzlos instrumentalisiert werden. Wie die 16-jährige Katniss Everdeen Schritt für Schritt den Kokon ihrer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in schweren Zeiten abstreift und gegen Widerstände und Bedrohungen zu eigenem Selbstwert, einem zunächst intuitiven, dann immer selbstsichereren Verständnis für Integrität und (Mit-)Menschlichkeit findet – das ist das zentrale Thema der Trilogie, die sich vom Überlebenskampf in einer virtuellen „Todesspiel“-Arena zur blutigen Revolution gegen einen unerbittlichen Staatsapparat weitet. Die Verfilmung hat dabei vor allem ein Pfund, mit dem sie wuchern kann: Die eindrucksvolle junge Jennifer Lawrence („Winter’s Bone“ (fd 40 384), „X-Men: Erste Entscheidung“ (fd 40 503)) verleiht ihrer Figur ein glaubwürdiges Profil, von dem man sich recht gut durch die komplexe Actionfabel tragen lassen kann. Diese setzt zu einer Zeit ein, in der die USA nicht mehr existieren und nach einem blutig niedergeschlagenen Aufstand durch ein diktatorisches Regime ersetzt wurden; das neue Land Panem wurde in zwölf Distrikte aufgeteilt, die der im Luxus schwelgenden Hauptstadt durch Fronarbeit dienen müssen und jedes Jahr durch die „Hungerspiele“ an ihre Abhängigkeit erinnert werden: Jeder Distrikt muss zwei Jugendliche entsenden, die gegeneinander in einem martialischen Wettstreit anzutreten haben, den nur einer oder eine überlebt. Katniss lebt im Distrikt 12 mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester Primrose; ihr Vater kam bei einem Grubenunfall ums Leben. Ihrem tristen Dasein entflieht die perfekte Bogenschützin, indem sie mit ihrem Freund Gale auf die illegale Jagd geht und mit ihm darüber sinniert, wie wohl ein Leben in Freiheit sein könnte. Dann aber wird ausgerechnet Primrose für die „Hungerspiele“ ausgewählt; spontan meldet sich Katniss freiwillig, um die geliebte Schwester zu schützen. So zieht sie mit dem ebenfalls ausgelosten Bäckersohn Peeta in die Hauptstadt, wird wie die übrigen Tribute zum öffentlichkeitswirksamen (Medien-)Objekt ausstaffiert, das um die Sympathiewerte der Zuschauer buhlen muss – bis es dann endlich in die „Arena“ geht, eine nur scheinbar unberührt-wilde Naturlandschaft, in der jeder Schritt und Tritt, jeder Kampf und jedes Sterben der Tribute von Kameras aufgezeichnet und live übertragen wird. Spannend und durchaus dicht entwickelt sich dieser Überlebenskampf der anfänglich 24 jungen Tribute, deren Reihen sich schnell lichten, während sie strategische Allianzen eingehen, sich allein oder in Gruppen auflauern, sich herausfordern und gegenseitig töten. Mitunter entwickeln sich einige präziser konturierte Charaktere, meistens bleibt es aber bei schematischen Typisierungen der Kombattanten, wie sich überhaupt der lange Weg vom Distrikt 12 bis zur Kampfarena eher stakkatoartig vollzieht und romanunkundige Zuschauer mitunter irritieren dürfte. Katniss, im Roman die betont subjektive Ich-Erzählerin, überträgt immerhin recht geschickt ihren eingeschränkten Standpunkt resp. Wissensstand auf den ja ebenfalls „ratlosen“ Zuschauer, etwa wenn die Kamera Räume und Geschehnisse allenfalls assoziativ im Stil rasch vorbeifliegender Eindrücke einfängt. Nur selten öffnet sich dabei der Blick auf totale Bilderwelten, etwa auf die Schönheiten der Natur im Distrikt 12 oder auf das bombastische Stadion der Hauptstadt, das sich unter dem Regentensitz des kaltherzigen Herrschers Snow als Mischung aus Nazi-Architektur und römischer Antike gänzlich aus dem Computer speist. Bei aller äußeren Spannung hätte man sich sowohl diese visuellen Panoramen als auch die stilleren Innenansichten der Personen konturierter, vor allem sinnlicher und „praller“ gewünscht. Ähnlich wie man in nahezu jeder Szene des Films das taktische Kalkül spürt, visuell bloß nicht zu weit zu gehen, um mit explizitem Naturalismus nicht die Jugendfreigabe zu gefährden, so legt sich der Film immer wieder freiwillig Zügel an und verzichtet darauf, künstlerisch konsequenter und mutiger zu erzählen. Das aber hätte der Film unbedingt tun müssen, um dem Seelenleben der jungen Protagonisten wirklich nahe zu kommen – ihren Ängsten und Schmerzen, vor allem auch ihrer tiefen Sehnsucht nach Zuneigung, Liebe und, vor allem, nach Gerechtigkeit. Erst durch einen leidenschaftlicheren und damit auch bewussteren Umgang mit der komplexen Fabel hätte der Film zudem seine Actionfolie auf eine zweite, aufklärerische Ebene gehoben und den (nicht nur eigenen) Umgang mit (Ab-)Bildern und der Manipulation von Bilderwelten angesprochen. Dann hätte er – wie der Roman – auch davon erzählt, wie schwer es ist, nicht nur sich selbst und seinem Gegenüber, sondern auch gierigen Medien zu vertrauen, die einem angeblich Wahrheiten und „wahre“ Empfindungen ungefiltert vermitteln und doch nur die Gefühle lenken, manipulieren und korrumpieren. Katniss wird sich in den folgenden Bänden dessen noch sehr bewusst werden und dies auch taktisch einsetzen; es wird sich zeigen, wie sich die Verfilmungen dazu verhalten.