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Filmkritik
„Locker-Room-Talk“ nannte Donald Trump im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 sein misogynes Geprahle, das durch einen Tonmitschnitt versehentlich an die Öffentlichkeit gelangte. Im Gespräch mit einem Fernsehmoderator hatte er damit geprahlt, sich gegenüber Frauen alles erlauben zu können – auch das Begrabschen ihrer Genitalien. Der blonde junge Mann im hummerfarbenen Hemd, der zu Beginn von Irene von Albertis „Die geschützten Männer“ in einem Park wie von Sinnen einige Frauen anfällt, wirkt wie ein überzeichneter Prototyp dieser testosterongesteuerten Spezies – mit dem Unterschied, dass es für ihn schlecht ausgeht.
Seine sexuelle Erregung setzt beängstigende Mutationen in Gang. Dunkle Haare sprießen auf Gesicht, Armen und Brust, der Körper windet sich, zwischen den Beinen drängt und wächst es. Kurz darauf liegt der Mann tot auf dem Boden. Kein Einzelfall, wie sich herausstellt.
Ein neuartiges Virus ist im Umlauf, das ausschließlich Männer befällt. Trotz steigender Fallzahlen versucht der amtierende Bundeskanzler, die Nachricht zu unterdrücken, es ist kurz vor der Wahl und eine Gesundheitskrise käme äußerst ungelegen. Zudem gehört er durch seinen Mix aus trumpistischen Zügen mit lindnerhaften Anteilen selbst zu den vulnerablen Gruppen – weshalb es ihn nach seiner Wiederwahl bereits bei der privaten „Wahlparty“ mit drei jungen Praktikantinnen dahinrafft. Auch einige Minister werden vom Virus gekillt.
Machtvakuum mit neuen Möglichkeiten
Durch das entstandene Machtvakuum tun sich für die knapp in den Bundestag eingezogene Partei Fem (Feministisches Ensemble für Minderheiten) plötzlich neue Möglichkeiten auf. Eine Interimsregierung, bestehend aus Sarah Bedford und ihrer Parteigenossin Anita Martinelli, übernimmt die Führung und suspendiert als erste Amtshandlung erst mal alle Cis-Männer, während Anitas Mann Ralph beauftragt wird, mit seinem Forscherteam einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln. Doch nicht alle in der feministischen Partei haben ein Interesse am Ende der Krise. Sarah Bedford entwickelt sich schnell zur totalitären Herrscherin, verhängt Ausgangssperren und propagiert „Ablationen“ (Selbstkastrationen). Und auch die den Kapitalismus umarmende, fitnesstolle Pharmaunternehmerin Hilda-Helsinki Pfeiffer grätscht mit ihren langen Beinen dazwischen.
Fast fünfzig Jahre ist es her, dass der französische Autor Robert Merle seine Dystopie „Die geschützten Männer“ als Reaktion auf die zweite feministische Welle schrieb. Seitdem hat die Welt zahlreiche „Wellen“ durchlaufen, Errungenschaften in der Gleichstellung wie Backlashes erfahren. Irene von Alberti hat den Stoff aktualisiert und das Erzählzentrum von der männlichen Forscherfigur auf die weiblichen Akteurinnen verschoben. Andere Gegenwartseffekte haben sich von selbst hergestellt, etwa durch die Corona-Pandemie und die dadurch entstandenen gesellschaftlichen Polarisierungen. Auch in „Die geschützten Männer“ gibt es ans Querdenkertum angelehnte Protestbewegungen, die sich über Vorschriften und Freiheitsentzug erregen und ihren Unmut auf die Straße tragen.
Zwischen Geschlechterkomödie und Diskursfilm
Als grellbunte politische Satire changiert „Die geschützten Männer“ zwischen Geschlechterkomödie und Diskursfilm. Verquirlt werden so ziemlich alle Tropen und „Buzzwords“ des politischen Diskurses jüngerer Tage: von toxischer Männlichkeit (beziehungsweise Weiblichkeit) über Victim-Blaming bis hin zu Pandemie-Wörtern und verschwörungstheoretischem Dialekt. Verweise finden sich auch zu radikal feministischen Positionen (etwa Valerie Solanas’ „SCUM-Manifesto“) oder zu Donna Haraways Idee des Sich-Verwandt-Machens. Das Fundament bilden jedoch die alten und neuen Fragen feministischer Politik: Das Spiel der Macht mitspielen oder auf die Straße gehen? Geschlechterkampf oder Auflösung der binären Ordnung? Geschlechtergleichheit oder Gleichheit aller lebenden Wesen?
Dem wortreichen Theoriezitatkino ihres Vorgängerfilms „Der lange Sommer der Theorie“ kehrt von Alberti den Rücken, auch wenn noch immer viel gequatscht wird. „Die geschützten Männer“ sucht eher die Nähe zu Slapstick, Klamotte und B-Movie, will unterhalten und erlaubt sich auch Albernheiten. Bei allem Wirbel, den das Figurenpersonal, bestehend aus Feministinnen, Jesus-freakigen Ablationisten, Virologen und Amazonen, veranstaltet, bleibt der Film jedoch erstaunlich zahm und unanarchisch. Er sammelt und zählt auf, aber die einzelnen Elemente werden zusammen nicht produktiv und scheuen das Chaos. Wenn sich am Ende dann auch noch der „gute“, egalitär denkende Feminismus durchsetzt, wird die Satire vom Moralstück gekapert.