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Filmkritik
Sofia, 12 Jahre alt und Großstadtkind aus Belgrad, möchte eigentlich wie ihre Freundinnen in coole Camps fahren, mit Jungs Blödsinn machen und lustige Selfies schießen. Stattdessen muss sie mit ihrer Großmutter Marija wegfahren, die ihr ständig ungefragt Sonnencreme ins Gesicht schmiert, nachts schnarcht und generell sehr altmodische Vorstellungen davon hat, was Mädchen so tun und lassen sollten. Und diese Badesachen, die sie anziehen soll, die sind ja nun wirklich schrecklich!
Schlimmer noch: In Omas altem Heimatdorf auf der kroatischen Insel Hvar kennt sie niemanden (ihr heimlicher Schwarm ist eh weit weg), es gibt kaum irgendwo Internet – und Marija streitet immer wieder mit ihrer Schwester Luce, die sie seit über zwanzig Jahren nicht gesehen hat.
Eine etwas überdrehte Sommergeschichte
„Der Sommer, als ich fliegen lernte“ kommt so ganz leichtfüßig daher als etwas überdrehte Sommergeschichte aus Sofias Perspektive, in der die Kamera zuweilen ihre Fantasien und Gedanken einfängt, samt Social-Media-Ästhetik und plötzlich neben ihrem Kopf auftauchender Listen. Ganz nebenbei werden dabei körperliche Selbstzweifel (ihre Beine findet Sofia zu haarig) und emotionale Achterbahnfahrten (in wen bin ich jetzt gleich noch verliebt?) gestreift, ist Sofia zunächst und zuallererst vor allem mit sich selbst beschäftigt.
Aber das ist bei weitem nicht die einzige Dimension, in der Regisseur Radivoje Andrić nach einem Roman von Jasminka Petrovic hier erzählen will. Denn der Streit, das lange Schweigen zwischen Marija und Luce, hat natürlich seine Hintergründe. Olga Odanović und Snježana Sinovčić-Šiškov geben ihren beiden noch gar nicht so alten Frauen in jedem Moment mehr als nur die Ahnung von Geschichte mit. Da schwingen Verletzungen und Familienkonflikte aus den Jugoslawienkriegen stets mit, für Sofia (die schon recht routiniert wirkende Klara Hrvanović) wird ihre Familie auf einmal und recht unerwartet deutlich größer.
Dass sich das alles in sommerlich strahlendem Licht abspielt, unter blauem Himmel und vor glitzerndem Meer, in mediterranen Häusern, macht den Kontrast mit vergangenen und bald auch neuen Verlusten umso deutlicher. Das birgt aber auch ein Risiko, und „Der Sommer, als ich fliegen lernte“ schrammt vor allem in seinem letzten Drittel in einigen Szenen allenfalls haarscharf am Gefühlskitsch vorbei – nur die Stärke der Darstellerinnen verhindert da ein allzu einfaches Übertünchen alter Verletzungen.
Mit der Familie sieht sie auch die Welt wachsen
Zugleich wählt Andrić hier mit einer innerfamiliären Auseinandersetzung ein Szenario, das sich durch den guten Willen und die Bereitschaft zum Gespräch relativ leicht aufbrechen, in Bewegung bringen lässt. Denn sein Fokus ist eben nicht der große politische Konflikt, sein Blick ruht auf Sofia, die in diesem Urlaub (wie sich das für so einen Sommerfilm gehört) nicht nur einiges über sich selbst lernt und an Selbstbewusstsein gewinnt, sondern mit ihrer Familie auch ihre Welt wachsen sieht.
Mit neuer Liebe und neuer Trauer, neuen Orten und neuen Menschen löst „Der Sommer, als ich fliegen lernte“ im Grunde genau das ein, was der Filmtitel verspricht – und vergisst, gelegentlicher Schmalz hin oder her, nie vollständig, dass genau solches Sommerglück am Übergang von Kindheit zum Erwachsenwerden so richtig nur dann gelingen kann, wenn die Erwachsenen drumherum für Frieden sorgen. Dann kann sogar ein Mädchen, dass vor Käfern und Kriechtieren Angst und Ekel empfindet, harmonisch mit einer Zimmerspinne zusammenleben.