- RegieAmandine Fredon, Benjamin Massoubre
- ProduktionsländerFrankreich
- Dauer86 Minuten
- GenreZeichentrick
- Cast
- TMDb Rating6/10 (95) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Seit 1955 hat der kleine Nick eine erstaunliche Karriere erlebt. Die beliebte französische Zeichentrickfigur, die von Jean-Jacques Sempé und René Goscinny ersonnen wurde, war schon der Held in drei Realfilmen und zwei Animationsserien. Nun kommt der erste lange Animationsfilm über den Lausbuben unter der Regie von Amandine Fredon und Benjamin Massoubre in die Kinos. Die abenteuerlichen Episoden um Nick und seine Freunde erschienen zwischen 1959 und 1964 zunächst in einem belgischen Magazin und dann in einer französischen Regionalzeitung, ehe viele von ihnen in Buchform erneut publiziert wurden. Die Kinderbücher wurden in 40 Sprachen übersetzt und viele Millionen Mal verkauft.
In „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ geht es aber um keine bloß weitere Verfilmung von Nick-Geschichten. Vielmehr verknüpfen die Filmemacher in einer Art Rahmengeschichte, die zwischen 1955 und 1977 angesiedelt ist, eine Hommage an die beiden Väter der Figur mit einer Neuinterpretation von acht Nick-Episoden. Etwa die Hälfte des bezaubernden Films kreist um Sempé und Goscinny, die Nick zum Leben erweckten und untereinander eine tiefe Freundschaft pflegten, auch wenn sie sich später für Jahre aus den Augen verloren. Mit bewundernswerter Geduld beantworten sie die vielen Fragen des kleinen Nicks, der von seiner Welt in die ihre übertreten kann, über ihre Lebensläufe und Erfahrungen. Dabei kommen nicht nur Schlüsselerlebnisse zur Sprache, die ihre Persönlichkeiten prägten, sondern die sich – künstlerisch verarbeitet – auch in ihren Werken niederschlugen.
Biografische Erfahrungen & Resilienz
So hatte der 1932 als uneheliches Kind bei Bordeaux geborene Sempé, der am 12. August 2022 kurz vor seinem 90. Geburtstag verstarb, eine schwere Kindheit. Er wuchs zunächst in einer gewalttätigen Pflegefamilie auf, bis seine Mutter ihn zurückholte, damit aber den Übergriffen seines Stiefvaters auslieferte. Goscinny, der in Frankreich vor allem als Schöpfer von Asterix und Obelix berühmt wurde, stammt aus einer jüdischen Familie, die bereits Ende der 1920er-Jahre nach Argentinien emigrierte und so dem Holocaust entkam, während andere Teile der Familie in Auschwitz ermordet wurden.
Goscinnys Tochter Anne, die Schriftstellerin ist und am Drehbuch mitwirkte, bringt die Ähnlichkeit der biografischen Erfahrungen und die gemeinsame Resilienz in einem Gespräch auf den Punkt: „Des einen Familie wurde in die Hölle geschickt, dem anderen verweigerte man die Liebe, die es einem Kind ermöglicht, aufzublühen.“
Erst schwarz-weiß, dann farbig
Die zweite Hälfte des Films setzt sich aus Nicks gezeichneten Episoden zusammen, die ein Wiedersehen mit seinen Abenteuern in der Schule, bei einem Ausflug ans Meer oder bei der Installation des ersten Fernsehers bringen. Dabei geht es aber nicht immer nur lustig zu. So muss Nick 1977 von Goscinny Abschied nehmen, der mit nur 51 Jahren stirbt.
Die beiden Erzählebenen unterscheiden sich auch filmsprachlich erheblich. Die Szenen mit Nicks Vätern sind in vollständig ausgefüllten und komplett farbigen Bildern gestaltet, das auch Kamerafahrten und Nahaufnahmen zulässt. Dagegen halten sich die Animatoren bei Nicks Auftritten weitgehend an die Illustrationen der schwarz-weißen Originalvorlagen. Die charmanten Auftritte des kleinen Jungen wirken dabei wie unfertige Aquarellzeichnungen, in denen meist nur das Zentrum des Bildes farbig gefasst ist. Oft ist eine Figur, die von der Seite ins Bild gerät, erst schwarz-weiß, ehe sie koloriert wird.
Der künstlerische Leiter des Films, Fursy Teyssier, hat zudem eine Möglichkeit ersonnen, die Figuren auf eine natürlich wirkende Weise am Bildrand verschwinden zu lassen. All dies verleiht dem Film eine Gelassenheit, die mit dem Mut zum Unfertigen dessen Charme-Faktor enorm steigert.
Ein warmherziger Augenschmaus
Als Brückenbauer zwischen beiden Ebenen fungiert Nick, der sich immer wieder vom Zeichenbrett löst und in die Welt seiner Urheber tritt. Wunderbar komponiert ist etwa das Bild, in dem Nick über den Schreibtisch Goscinnys läuft, auf dessen Schreibmaschine Platz nimmt und ihn mit Fragen löchert. Oder eine Szene, in der Nick Sempé über die Schulter schaut, während der eine neue Episode skizziert.
Mit ihren musikalischen Vorlieben prägen Goscinny, der am liebsten Jazzpianist geworden wäre, und Sempé, der Michel Legrand und Paul Misraki, aber auch Duke Ellington bewunderte, die musikalische Untermalung des Films, wobei sich zeitgenössische Jazz-Melodien und Swing-Rhythmen auch mal mit Tango-Takten verknüpfen.
Mit den elegant fließenden Übergängen zwischen den Erzählsträngen, der liebevollen Figurenzeichnung, einer poetischen 2D-Animation, der Heiterkeit der Nick-Episoden und der fantasievollen Gestaltung ist „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ ein warmherziger Augenschmaus, der große wie kleine Zuschauende gleichermaßen abholt und zu begeistern versteht. Einer der schönsten Filme des Kinojahres 2022.