- RegieAsaf Saban
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer101 Minuten
- GenreDrama
- TMDb Rating7/10 (2) Stimmen
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Filmkritik
Die israelischen Jugendlichen holen an einem polnischen Flughafen ihr Gepäck vom Förderband, lachen, raufen, necken sich und zücken an der Grenzkontrolle ihre Reisepässe. Sie kommen aus einem Land, das passfreies Reisen in nahe oder ferne Länder nicht kennt. Vermutlich unternehmen die 17-Jährigen zum ersten Mal einen Auslandstrip, zumindest gemeinsam in der Gruppe. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine gewöhnliche Klassenfahrt, sondern um die für viele junge Israelis obligatorische Reise zu den Gedenkstätten in Polen, in denen der deutsche Genozid an den Juden verübt wurde. Sie stellt eine Art Übergangsritus für die Teenager vor dem Militärdienst dar.
Auch ein Gefühl der Bedrohung ist bei den Organisatoren der Fahrt stets präsent. Ein israelischer Sicherheitsmann überprüft den Reisebus, und den Jugendlichen wird ein Video vorgespielt, das vor Gefahren im Hotel und außerhalb warnt. Letzteres wird von den Oberschülern als Panikmache abgetan; sie loben feixend das Aussehen einer als unredliche Verführerin agierenden Darstellerin im knappen Kleid.
Im Sog widerstreitender Gefühle
Die hübsche Nitzan (Neomi Harari), der coole Ido (Leib Lev Levin) und der naive Frisch, der eigentlich Omer Frischman (Yoav Bayly) heißt, bilden ein Freundes-Trio, dessen Zusammenhalt im Laufe des Films „Delegation“ auf manche Probe gestellt wird. Frisch, den niemand richtig ernst nehmen will, muss sich zudem um seinen betagten Großvater Yosef (Ezra Dagan) kümmern. Der aus Polen stammende Holocaust-Überlebende fährt als Zeitzeuge bei der Reise mit und soll den Schülern durch seine Erfahrungen einen persönlicheren Zugang zum Thema Judenverfolgung und Shoah liefern.
Die Fahrt mit dem Bus führt durch kalte, schneebedeckte Ortschaften. Bevor es als Höhepunkt der Klassenfahrt zur Gedenkstätte in Auschwitz geht, wird ein großer, verfallener jüdischer Friedhof besucht, dann ein Museum. Zwischendurch werden Gesprächsrunden anberaumt, bei denen die Schüler von ihren Eindrücken und Gedanken berichten sollen. Doch kann man über bedrückende und zum Teil sehr persönliche Gefühle ohne weiteres in einer größeren Gruppe sprechen? Wird eine bestimmte Art von sichtbarer Betroffenheit von Lehrern und Betreuern eingefordert oder gar verordnet?
Auch auf den Zeitzeugen Yosef üben die Lehrer Druck aus. Er solle von seinen schmerzlichen Erlebnissen berichten und keine Anekdoten über seine Jahre als verliebter Jugendlicher zum Besten geben.
So kontrastieren die Gefühle und Sehnsüchte der Schüler ständig miteinander. Zum einen sind sie durchaus bestrebt, vor Ort mehr über die Geschichte ihrer Familien und Vorfahren zu erfahren. Zum anderen wollen die jungen Menschen vor allem eines: nämlich Party machen. Auch Frisch, Ido und Nitzan sind verliebt – doch zwei von ihnen in die falsche Person. Also schlagen alle drei in unterschiedlichen Situationen über die Stränge, streiten sich, versöhnen sich und sind gleichzeitig von den Eindrücken überwältigt, die in den Gedenkstätten auf sie einprasseln. Denn die Fahrt ist für alle emotional belastend – für die Schüler, für den Zeitzeugen Yosef, dem es immer wieder die Sprache verschlägt, für seinen Enkel Frisch und für die Betreuer.
Bleibt genügend Zeit für alles?
Keiner der Jugendlichen möchte als gefühllos dastehen. Doch unterschiedliche Temperamente zeitigen unterschiedliche Reaktionen auf die unvorstellbaren Gräuel, mit denen sie konfrontiert werden. Manche können einfach weinen, andere reagieren auf introvertiertere Weise. Nicht zuletzt führt das zu Missverständnissen, Animositäten, aber auch zu Alleingängen. Zwischendurch muss man die Last der Geschichte einfach auch einmal verdrängen. Im Reisebus wird gesungen, gelacht und gelästert. Im Hotel erobert man fremde Zimmer und feiert Partys innerhalb und außerhalb der Unterkünfte, die umso mehr Spaß machen, je verbotener sie sind. Bleibt dabei genügend Zeit für Nachdenklichkeit und Besinnung?
Regisseur Asaf Saban fängt mit viel Gespür für jugendliche Befindlichkeiten die Widersprüche dieser besonderen Klassenfahrt ein. Eine Schülerin wird durch die Schuhsammlung der Holocaust-Opfer in den Vitrinen einer Gedenkstätte traumatisiert und verarbeitet dies in den sozialen Medien. Frisch dagegen muss einfach einmal weg von der Gruppe. Bei der Einweihung einer renovierten Synagoge durch katholische Polen muss er als „Alibi-Jude“ herhalten. So spricht der Film undogmatisch, aber symbolisch den Mangel an Verständigung zwischen den Nachfahren jüdischer Überlebender und den Einwohnern des heutigen Polens an, aus dem ein lebendiges jüdisches Leben verschwunden ist. Israelische Fahnen schwenkende Jugendliche bekennen sich demonstrativ zu ihrer Herkunft und ihrer Geschichte und stoßen damit auf das Unverständnis einer Gesellschaft, die sich heute als homogen polnisch-katholisch versteht. Dann wiederum zeigt ein polnischer Bauer dem Ausreißer Frisch in einem Schuppen stolz seine Sammlung von VHS-Kassetten der israelischen Komödienreihe „Eis am Stiel“.
Es kommt auf einen selbst an
So erzählt der Film von Selbstbezogenheit, Eigendefinition, aber auch Fremdbeurteilung, die nicht immer negativ sein muss. Am Ende sind die Schüler, vor allem aber Frisch, gereift. Allerdings nicht nur durch das Pflichtprogramm, sondern dadurch, was sie in einem fremden Land an Eigeninitiative gezeigt und sich selbst an Eindrücken, „Éducation sentimentale“ und Erkenntnissen erarbeitet haben.