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Filmkritik
In Chicago tobt das Verbrechen wie entfesselt. Über 40 Morde geschehen an einem einzigen Tag. Regisseur Eli Roth hat Nachrichtenfetzen über die Bilder einer nächtlichen Skyline gelegt, um den Moloch gleichzeitig von oben wie von unten zu zeigen – oder besser: zu behaupten. Die Romanvorlage „Death Wish“ von Brian Garfield und seine erste Verfilmung, „Ein Mann sieht rot“ (fd 19 051), hatten ihren Moment und ihr Momentum in den 1970er-Jahren, wo das heute längst aufgeräumte New York noch nach Glamour und Urin zugleich roch, mondän und mörderisch. „Ein Mann sieht rot“ prägte das Image seines Hauptdarstellers Charles Bronson nachhaltig und löste eine Debatte über Selbstjustiz aus.
Joe Carnahan, der das Skript des Remakes „Death Wish“ verfasste, stand nichts dergleichen zur Verfügung – außer dem allmählich und womöglich durchaus zu Unrecht verblassenden Starglanz von Bruce Willis. Er spielt den Chirurgen Paul Kersey, einen Stoiker, der ganz in sich zu ruhen scheint. Im tiefenentspannten Gesicht, in den weniger zwanghaft als routiniert kontrollierten Gesten von Bruce Willis zeichnet sich nicht einmal ein Hauch von Anstrengung ab. Hier brodelt nichts. Wird er beim Fußballspiel seiner Tochter von einem anderen Vater provoziert, bleibt er ruhig. Erhält seine Tochter ihren Zulassungsbescheid von der Uni, rührt er keine Miene.
Da rumort nichts, und dennoch wird etwas zum Ausbruch kommen. Aus dieser Spannung, die eine meta-filmische ist, angestachelt vom Wissen um die Vorlage, entstehen die einzigen faszinierenden Augenblicke der Erzählung. Wie lichtdurchflutet, wie glänzend und aufgeräumt das Haus der Familie in der Vorstadt erscheint, wie harmonisch das Idyll! Es wird zerbrechen, als eine Gang Kerseys Frau und seine Tochter angreift; Mutter Lucy kommt dabei zu Tode, die junge Jordan überlebt im Koma. Die Nacht legt sich über den Film. Lange bleibt Paul auch jetzt noch ruhig, anders als sein Bruder Frank, der sich gleich mit der angeblich unfähigen Polizei anlegt. Doch nach einem angeschossenen Patienten, einer Ausrede der ermittelnden Cops und einem verzweifelten, einsamen Abend zu viel nimmt Paul das Gesetz selbst in die Hand. Räuber und Dealer müssen dran glauben auf seinem verschlungenen Weg zu denjenigen Tätern, die er eigentlich sucht, während die Polizei nun einen weiteren Fall hat: den des „Grim Reaper“, eines weißen Rächers im Kapuzenpulli, der Jagd auf Kriminelle macht und es durch ein virales Smartphone-Video bald zu bescheidener Berühmtheit bringt.
Es gäbe also durchaus Ansätze, den Stoff ins 21. Jahrhundert zu transportieren. Manche Szenen blicken flüchtig auf die Hype-Maschine der modernen, nicht nur sozialen Medien; andere flirten mit der Frage, wie die gebrochene Männlichkeit in der Gegenwart zu leben wäre. Die libidinöse Beziehung mancher US-Amerikaner zu ihren Waffen wird karikiert. Doch all das bleibt vage, der Fokus des Films schwimmt und wackelt. Einmal lässt Regisseur Eli Roth, der erst nach Absagen anderer Kandidaten an Bord kam, einen Kopf unter einem Auto platzen und das Gehirn hervorschießen. In Arbeiten wie „Hostel“ (fd 37 593) und „The Green Inferno“ (2013) wollte er, in einem filmästhetischen Retro-Modus, Politik mit drastischen Bildeffekten machen, abgeschaut vom amerikanischen Horrorfilm der 1970er-Jahre und dem italienischen der 1980er-Jahre; insofern scheint er wie eine naheliegende Besetzung für die Regie. Doch mit kalkulierten Provokationen, die nicht einmal neu erdacht sind, lässt sich ebenso wenig bewegen wie mit Figuren, die ihrer Menschlichkeit entleert als Gefäße eines Prinzips durch die Gegend ballern.