Vorstellungen
Filmkritik
Jagdszenen in Wien. In der Hauptallee des Praters bricht ein Jogger zusammen. Während andere Läuferinnen und Radler stoppen, um nach dem von einer Gewehrkugel niedergestreckten Mann zu sehen, setzt die Kamera ihre Rückwärtsfahrt fort. Ungerührt gleitet sie zu den Klängen von Sibelius’ „Valse triste“ über den von Kastanien gesäumten Parkweg, um dann einen Läufer im weißen Muskelshirt zu begleiten, der lächelnd aus einer Baumreihe gelaufen kommt. Es ist Amon Maynard (Laurence Rupp), ein superreicher Investor und Batteriefabrikant, der in seiner Freizeit gerne Leute erschießt.
Bis zur letzten Konsequenz
Die Filmemacher Daniel Hoesl und Julia Niemann erzählen in „Veni Vidi Vici“ von einem Psychopathen, der zu reich und mächtig ist, als dass ihm jemand ernsthaft Einhalt gebieten, geschweige denn Handschellen anlegen könnte. Dem Film ist das Zitat der US-Autorin Ayn Rand vorangestellt, „The point is, who will stop me?“. Rand ist eine Galionsfigur des Anarchokapitalismus. Der Satz ihrer Romanfigur Howard Roark, eines egomanischen Architekten, steht in „Der ewige Quell“ aus dem Jahr 1943.
Donald Trump hat Rands Buch einmal als einen seiner Lieblingsromane bezeichnet. Sein Ausspruch, dass er auf der 5. Avenue jemanden erschießen könne, ohne die Gunst seiner Wählerschaft zu verlieren, wird in „Veni Vidi Vici“ bis zur letzten Konsequenz durchgespielt. Neben Trump dürfte auch dessen Unterstützer Elon Musk für die bittere Satire Pate gestanden haben. Denn Maynard will die größte Batteriefabrik Europas just in ein Naturschutzgebiet platzieren; hohe Regierungsbeamte ebnen ihm dafür den Weg.
Mit dem Raubtierkapitalismus haben sich Hoesl und Niemann bereits in dem Low-Budget-Drama „WinWin“ (2016) und dem Dokumentarfilm „Davos“ (2020) beschäftigt. Diese früheren Filme ermöglichten dem österreichischen Duo vertiefte Einblicke in das Leben der Superreichen. So dürften die im Wiener Palais Rasumovsky, dem größten Privathaus Österreichs, gedrehten Familienszenen in weiten Teilen der Realität entsprechen, vom Innenpool im Wohnzimmer über die Kindergeburtstagsparty mit den sündhaft teuren Geschenken bis zum Polo-Match im privaten Park, was in „Veni Vidi Vici“ in hyperästhetischen Zeitlupenbildern gezeigt wird, inklusive eines bösen Fouls der dreizehnjährigen Maynard-Tochter Paula (Olivia Goschler), die auf unlautere Weise – ganz der Vater – den Wettkampf für sich entscheidet. Kein Mitspieler, keine gegnerische Reiterin protestiert, weil Widerspruch im Dunstkreis der Maynards gar nicht mehr denkbar ist.
Wo der Serienmörder die Fassung verliert
„Für Fairplay bin ich zu kreativ“, lautet Paulas euphemistische Rechtfertigung. Ihre Sentenzen und Erläuterungen, halb zynisch, halb im Stil von Hofberichterstattung gehalten, ziehen sich als Off-Kommentare durch den Film. Paula bewundert ihren Vater für seine Rücksichtslosigkeit und Libertinage. Nur dass die Minderjährige noch nicht schießen darf, nimmt sie ihm übel, wo sie sich mit seinem Waffenarsenal doch schon fast so gut auskennt wie sein stolzer Besitzer.
Zur Familie gehören noch zwei Adoptivkinder, Coco und Bella, sowie Paulas Stiefmutter Viktoria (Ursina Lardi). Das Ehepaar wünscht sich sehnlichst ein leibliches Kind. Dafür wird zunächst eine Leihmutter gesucht: „Meine Eizellen, dein Sperma, ihre Schwangerschaftsstreifen“, scherzt Viktoria gegenüber Amon. Doch mit fachkundiger Hilfe eines gewissen Doktor Vitaly (Nahoko Fort-Nishigami) wird die Milliardärsgattin schließlich selbst schwanger. Der treusorgende Familienvater und sonnige Serienmörder Amon verliert im Handlungsverlauf nur einmal die Fassung: als bei Viktoria Blutungen auftreten und eine Fehlgeburt droht.
Die Adorno’sche Sentenz, dass es kein richtiges Leben im falschen gebe, wird von Hoesl und Niemann rabiat vom Tisch gewischt: Das ungetrübte Glück schlechter Menschen ist eine Realität. Über dem Maynard-Anwesen scheint penetrant die Sonne, auf der Tonspur erklingen Mozarts „Così fan tutte“, Johann Strauß’ Donauwalzer oder – nach der triumphalen Geburt des jüngsten Erben – Richard Strauss’ „Zarathustra“-Fanfare. Maynards blutiges Hobby bleibt mehr oder weniger unbeachtet, was nur bedingt daran liegt, dass sein treuer Diener Alfred (Markus Schleinzer) nach den Todesschüssen auf Radsportler, Imbissbesitzerinnen oder Jogger die eine oder andere Spur beseitigt. Die kurzen Einwände eines Verdacht schöpfenden Jagdaufsehers haben sich, quasi über Kimme und Korn, bald erledigt. Und ein Journalist wird auf andere Weise zum Schweigen gebracht, als er im Serienmordfall recherchiert.
„Veni Vidi Vici“ zitiert Topoi und dramaturgische Modelle des Kino- und Serien-Mainstreams, lässt die konventionellen Muster und Erwartungen aber immer wieder ins Leere laufen. Es gibt einen Kriminalfall, der nicht gelöst werden kann, weil alle den – unantastbaren – Täter kennen. Laurence Rupp spielt Amon Maynard als tierlieben, reizend-gewinnenden Psychopathen, der sich geradezu nach mehr Fallhöhe sehnt, die für zeitgenössische Schurken der Königsklasse offenbar abgeschafft wurde. In einer „Erkennungsszene“ bekennt sich Maynard gegenüber dem Enthüllungsjournalisten zu seinen Taten, beinahe verwundert oder sogar verzweifelt, dass ihm niemand etwas anhaben kann. Oder doch? „Du hast mich in der Hand“, raunt Maynard seinem Gegenspieler zu. Ein Satz, der womöglich schon das Gegenteil enthält.
Luxus & kühle Distanz
Doch auch die aristotelische Katharsis ist bei Hoesl und Niemann nicht vorgesehen. Ich kam, sah und siegte. Der im Filmtitel zitierte Spruch des Julius Cäsar lässt früh befürchten, dass die Glückssträhne des Protagonisten nicht abreißen wird. Im Abgleich mit der Realität – Demokratieabbau, Steueroasen, der Siegeszug des Trumpismus – wirkt das schaurig-schöne Bild des Geldadels, das in „Veni Vidi Vici“ gezeichnet wird, nicht einmal mehr besonders übertrieben. Selbst die Kamera scheint angesichts des strahlenden Siegertypen Maynard ab und zu die Waffen zu strecken.
Der Eindruck täuscht natürlich – und hat viel mit der bitter-ironischen Erzählweise der Regisseure zu tun. Die Bildgestaltung von Gerald Kerkletz wählt den Mittelweg zwischen zeitweiliger Überhöhung des Luxuriösen und kühler Distanz. Eine ganze Reihe von Totalen mit symmetrischem Bildaufbau lassen an die Filme von Ulrich Seidl denken, der „Veni Vidi Vici“ produziert hat.
Hoesl und Niemann zeigen ein nahezu geschlossenes System. Warum das zumindest im Kosmos des Films nicht zu knacken ist, deutet die Poloreiterin Paula an, wenn sie anfangs bemerkt: „Ein Foul ist kein Verbrechen. Und selbst wenn. Wer ist schuld? Der, der foult – oder der, der wegsieht?“ Zumindest das muss man als Kinopublikum: Hinsehen. Und vielleicht Howard Roark oder seiner Schöpferin Ayn Rand eine Antwort auf die ursprünglich wohl rhetorisch gemeinte Frage geben: „Who will stop me?“ Wer, wenn nicht wir!