Vorstellungen
Filmkritik
In seinen Stilmitteln an die beiden Renoir, den Maler Auguste und den Regisseur Jean, angelehnt, nimmt sich die begabte französische Regisseurin Agnès Varda ("La Pointe Courte", "Mittwoch zwischen fünf und sieben") die Frage nach dem Glück vor. Was ist das Glück und was widerspricht dem Glück? Sie schildert das Weekend und den Alltag einer restlos glücklichen jungen Ehe, die in lauter Sonne dahinlebt. Beschwingt, freundlich, malerisch sind Tonfall und Farbe des Spiels. Der Mann sieht keine Gefahr für dieses Glück, als eine zweite Frau in sein Leben tritt. Im Gegenteil: Er fühlt jetzt doppelte Freude und hält dafür, daß auch seine Frau und seine Kinder daran teilhaben können. Aber die Frau, der er ganz offen vom neuen Verhältnis erzählt und die auf seinen Vorschlag einzugehen scheint, sucht den Tod im Wasser. Die Freundin Emilie zieht in die Familie ein und fortan spaziert sie an der Seite von François mit den Kindern zum Picknick-Platz, der in den Gefilden von Jean-Jacques Rousseau nach wie vor in herrlichen Farben strahlt. Das Glück bleibt.
Agnès Varda hat aufs entschiedenste verneint, irgendeine These, eine philosophische Botschaft in ihrem Film darstellen zu wollen. Welche Lüge oder welche Selbsttäuschung hier verborgen liegt, zeigt aber schon die Tatsache, daß sie ihrem Werk zuerst den Titel "L`invention de la morale" (Erfindung der Moral) hatte geben wollen. Ihr Film ist auf keinen Fall jene einfache, unproblematische Betrachtung einer Ästhetin über das Glück eines einzelnen Menschen, "der eine besondere Begabung für Glück mitbringt". Daß eine Frau ihrer Geschichte diese Wendung geben konnte, läßt den Betrachter perplex. So zeugt auch die internationale Kritik von den verschiedensten Einschätzungen des Films. Die einen halten sich an die äußere Atmosphäre, bewundern die impressionistische Farbgebung und sprechen darüber hinaus von einem einfach schönen, unproblematischen Film, der zwar auch in der Nähe des Kitsches gesehen werden könne, aber im guten Sinne naiv und optimistisch sei. Andere finden sich mit dem Sonnenschein in "Bonheur" nicht so leicht ab. Ihnen erscheint gerade die ästhetischätherische Form des Films die Kehrseite einer "boshaften, um nicht zu sagen bösartigen Aufzeichnung von der Vorstellung, die sich François vom Begriff Glück macht" (Neue Zürcher Zeitung, 8. 7. 65). Solcher Kritik scheint es mit Recht unfaßbar, daß man in diesem Werk nur gerade eine "glückliche Chronik vom Leben und Lieben" sehen könne. Allerdings steht nun dieser Interpretation die oftmals geäußerte Feststellung der Autorin gegenüber, einen "einfachen Film" beabsichtigt zu haben. In der Tat strahlt er eine echte Gläubigkeit aus und kann nicht etwa als Satire verstanden werden. Die Überzeugung von François, er könne zu dritt glücklich leben, wird nirgendwo ironisiert, sondern geteilt. Eigentlich, so wird insinuiert, wurde seine Frau nur durch überkommene Moralkonventionen daran gehindert; in diesem Glück zu dritt mitzutun. Wenn es jemanden gibt, der schuldig ist an ihrem Tod, dann ist sie es selbst. War es nicht Agnès Vardas bewußtes oder unbewußtes Streben, in dieser Geschichte die Möglichkeit eines gleichsam kosmischen Lebensglückes über alle von ihr als zeitbedingte Konventionen betrachteten Schranken hinweg auszubreiten? Als Christ könnte man nun zwar einen solchen Lebensimpuls (als universelle Liebe) mit bejahen. Gleichzeitig müßte man um so tiefer bedauern, daß seine Entfaltung in Widerspruch gestellt wird zu einer Auffassung der Person und der ehelichen Partnerschaft, die denn doch mehr ist als eine zeitbedingte gesellschaftliche Floskel.
Die Wirkung des Films mag auf ein reifes erwachsenes Publikum nicht notwendig schädlich sein. In dem Film steckt jedoch eine geschickt drapierte, der christlichen Eheauffassung diametral entgegengesetzte Apologetik der Libertinage. Worüber Agnès Varda zu diskutieren vorgibt, ist eine Grundfrage ehelicher Gemeinschaft, deren relativierte Vorstellung im Ansatzpunkt einer Auflösung sittlicher Grundwerte und schlimmer noch: einen Blick auf den "neuen Menschen" mit "neuer Moral" gleichkommt, der kein Gewissen benötigt, weil Gewissen und Verantwortung als bürgerlich restaurative Gewohnheiten uninteressant geworden sind. Die absichtliche rosarote Verfärbung der Realität ist formales Indiz für die mangelnde Bereitschaft zur kritischen Analyse. Im Gegensatz etwa zu Truffaut analysiert Agnès Varda nicht; sie postuliert, sie stimuliert, sie ergreift von vornherein Partei.