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Filmplakat von Critical Zone

Critical Zone

99 min | Drama | FSK 12
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Teheran bei Nacht. Aus einem fahrenden Auto stülpt sich eine Frau aus dem Seitenfenster, zieht sich das Kopftuch herab und brüllt ein kräftiges, lautes, erschütterndes „Fuck You!“ in die schlafende Stadt. Es ist der einzige Moment von Freiheit und Lust, den Regisseur Ali Ahmadzadeh seinen Filmfiguren gönnt. Der Film ist ein Blick auf die Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit der jungen Generation im Iran, die zwar international orientiert leben möchte, aber unter dem Mullah-Regime in fremdbestimmter Schockstarre vor sich hin existiert. Der Führer durch diese traurige, immer müde Welt ist Amir, ein Drogendealer. Wir sehen ihn, wie er zu Hause präzise und ruhig wie ein Apotheker seine Drogen sortiert und in kleine Döschen und Päckchen verpackt. Dann setzt er sich ins Auto und fährt nachts durch die Stadt zu seinen Kunden, denen er mit seinen halluzinogenen Mitteln ein wenig Erleichterung verschafft. Seine Kunden sind jung, verzweifelt, voller Ängste und Hemmungen. Keiner traut sich, von einer besseren Zukunft zu träumen. Amirs Drogen betäuben ihren Schmerz, aber mehr auch nicht.

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Filmkritik

Teheran bei Nacht. In einer langen Plansequenz rollt ein Rettungswagen immer tiefer in einen Tunnel hinein; dazu wummert ein unheilschwangerer Score. Ein stilbewusster Auftakt, der an den Drogenthriller „Sicario“ denken lässt. Doch der iranische Regisseur Ali Ahmadzadeh hatte keinen reinen Thriller im Sinn, auch wenn in „Critical Zone“ ebenfalls Drogen eine zentrale Rolle spielen. Ihm geht es eher um eine eigenwillige Mixtur aus Drama, Zustandsbeschreibung und Protest.

Denn mitten im Tunnel biegt der Krankenwagen rechts ab und entpuppt sich als Tarnung für eine Drogenübergabe. Päckchen werden in Autos verteilt, die dann wie bei einer Choreografie ausschwärmen. In einem von ihnen sitzt der Protagonist Amir (Amir Pousti). Der vollbärtige Dealer wirkt bereits da wie ein Schatten seiner selbst, obwohl die Nachtschicht gerade erst anfängt. Als Figur scheint Amir vom Tunnelsystem geradezu geboren zu werden; ein Kind der Unterwelt.

Der Dealer als Prophet

Für das politische Regime in Teheran sind Drogen ein Tabu, obschon sie in der iranischen Gesellschaft einen relevanten Faktor darstellen. Substanzen wie Crack und Opium grassieren, der Nachschub kommt meist aus Afghanistan. In dem Cop-Thriller „Teheran Connection“ (2019) besetzte Regisseur Saeed Roustayi sogar echte Abhängige. Ahmadzadeh interessiert sich für Gründe des Drogenkonsums; der Rausch scheint das Leben im repressiven Gottesstaat ein Stück erträglicher zu machen. Dementsprechend benebelt sich Amir selbst und verschafft auch anderen Nachtgestalten Linderung. Das Dealen erscheint als eine Form des Widerstands; Amir sieht sich selbst als eine Art Prophet.

„Critical Zone“ führt Amirs Profession über triste Alltagsbeobachtungen ein. Minutiös zeigt der Film, wie Amir in seiner Absteige, die er mit einem Hund teilt, kleine Portionen für den Verkauf abfüllt. Draußen steckt er Fahrgästen oder Prostituierten den Stoff zu; in einem Pflegeheim verteilt er Haschkekse. Der Umgangston auf der Straße ist rau. Es ist eine abgewrackte Gegenwelt am sozialen Rand, wo Süchtige ins Nichts starren.

Viele der Abnehmer sind Frauen, was den Tabubruch aus Sicht der religiösen Führung noch potenziert. Im Auto streifen Amirs Kundinnen die obligatorische Kopfbedeckung ab. Eine Flugbegleiterin hat Dosenbier aus Amsterdam dabei und masturbiert im Drogenrausch auf der Rückbank. Danach hängt sie sich mit wehenden Haaren aus dem Auto und schmettert mehrfach ein beherztes „Fuck you“ heraus.

Mit versteckten Kameras gedreht

Der Autor und Regisseur Ali Ahmadzadeh (Jahrgang 1986) drehte den Film heimlich. Versteckte Kameras waren nötig, gefälschte Genehmigungen, Bestechung und die Aufteilung der Dreharbeiten in mehrere Etappen. „Das Gefühl, dass wir uns in einem Kampf befinden, hat uns geholfen, den Film zu realisieren“, sagt Ahmadzadeh. Die angespannte Produktionsgeschichte des Guerillafilms ist Teil seiner rebellischen Aussage, die in der westlichen Rezeption dankbar aufgegriffen wird. 2023 gewann der Film den „Goldenen Leoparden“ beim Filmfestival in Locarno, wohin der mit einem Arbeitsverbot belegte Ahmadzadeh nicht reisen durfte. Wie Dutzende andere Auszeichnungen für iranische Filme setzt die Preisvergabe auch ein politisches Zeichen.

Im Unterschied zu den theaterhaften Werken von Asghar Farhadi verfügt „Critical Zone“ aber trotz einiger Längen über cineastischen Innovationsgeist. Der teils dokumentarische Charakter und der Hang zu magischem Realismus greifen auf filmische Traditionen des iranischen Kinos zurück. Mit seiner unverhohlenen Kritik und den radikalen Tabubrüchen lässt er eine neue Dringlichkeit aufblitzen. Einmal mehr dient das Auto als praktikabler Drehort für einen Film. Gut die Hälfte von „Critical Zone“ sieht man Amir hinter dem Steuer, dirigiert von der weiblichen Stimme eines Navis, das die Fremdbestimmung seines Lebens schmerzhaft versinnbildlicht.

Die Rebellion kündigt sich an

Die Kamera von Abbas Rahimi sucht immer wieder Perspektiven, die Amirs Verlorenheit und Orientierungslosigkeit zum Ausdruck bringen. Einmal ist die Kamera ans Lenkrad montiert; in einer surrealen Zeitrafferfahrt wankt das Bild hin und her, wird auf den Kopf gedreht und wieder zurück. Ein Sinnbild für eine Gesellschaft im Delirium, der als absoluter filmischer Moment an eine ähnliche Schlüsselsequenz aus „Der Fahrradfahrer“ (1989) von Mohsen Makhmalbaf erinnert.

Ein anderer Paukenschlag, der im Kontext der ruhigen Erzählweise umso heftiger wirkt, ist der Angriff einer zombiehaften Meute auf Amirs Auto. Die Botschaft des Films ist klar: Es brodelt gewaltig unter der Oberfläche, die Wut der Verzweifelten wird sich eines Tages Bahn schaffen. Vielleicht ist das Wunschdenken. Ali Ahmadzadeh aber glaubt an diese Rebellion. Das macht er mit „Critical Zone” unmissverständlich klar.

Erschienen auf filmdienst.deCritical ZoneVon: Christian Horn (12.12.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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