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Filmkritik
An einem britischen Elite-Internat wird eine Ernährungsberaterin als neue Lehrkraft angestellt. Das attraktive Angebot von Miss Novak (Mia Wasikowska) an die Schülerschaft lautet: „Bewusste Ernährung“. Eine kleine Gruppe zeigt sich interessiert. Teils aus gesundheitlichen, teils aus politischen Motiven, teilweise aber auch, weil hier ohne Aufwand Punkte zu erhalten sind, die für das Stipendium gebraucht werden.
„Bewusste Ernährung“ ist durchaus „hip“, frei nach dem Motto: Move your ass and your mind will follow. Die Revolution fängt im Kleinen an. Miss Novak, die ihren eigenen Fastentee propagiert, formt aus Ernährungsfragen mittels einfacher gruppendynamischer Rituale eine elitäre Widerstandsgruppe gegen Konsumismus und die Lebensmittelindustrie. Es geht um Nachhaltigkeit und das Klima. Doch die Lehrerin radikalisiert das Programm bis zum Widerstreit von Körper und Geist. Wer sagt denn, dass der Körper überhaupt Nahrung benötigt, wenn er doch durch Disziplin geadelt werden kann?
Nein, meine Suppe ess ich nicht
Der harte Kern des Kurses formt sich zum „Club Zero“, dessen Mitglieder in der Mensa mittels einer komischen Choreografie die totale Verweigerung zelebrieren. In einer drastischen Szene, die dem Film gewissermaßen als Mutprobe fürs Publikum vorauseilt, wird eine Art von doppelter Bulimie gezeigt. Wer die gelöffelte Suppe auskotzt, muss sie trotzdem wieder zu sich nehmen.
Vielleicht gibt es ein paar Filme und Berichte zur Gruppendynamik in Sekten zu viel, um „Club Zero“ auf dieser Ebene spektakulär zu finden. Auf einer anderen Ebene fragt der Film, warum die Schüler:innen überhaupt auf diesem Internat unterrichtet werden. Schlaglichtartige Szenen führen in die familiären Hintergründe des „Club Zero“. Dort zeigt sich eine umfassende Wohlstandsverwahrlosung, ein Desinteresse an den eigenen Kindern, mitunter sogar, weil die Eltern in Afrika ihren eigenen humanitären Projekten nachgehen. Bis die von Miss Novak indoktrinierten Kinder nach Hause kommen und ihre Rebellion am elterlichen Esstisch beim Abendbrot starten. Das kann dann dazu führen, dass die väterliche Autorität sich plötzlich als offen autoritär erweist. Oder dass die Mutter ihre eigenen Essstörungen solidarisch öffentlich macht.
Eine Prise Klassenkampf kommt ins Spiel, wenn eine alleinerziehende, nicht so wohlhabende Mutter aus der Arbeiterklasse ganz handfest gegen den pädagogischen Machtmissbrauch von Miss Novak aufbegehrt. Offenbar haben die meisten Erwachsenen das inhärente Konfliktpotential der „bewussten Ernährung“ unterschätzt. Wie etwa die Schuldirektorin, die Miss Novaks Fastentee mit ordentlich viel Zucker trinkt.
Schwarze Pädagogik und Mutterkult
In einem Statement der Regisseurin Jessica Hausner scheint der Film hier einen Punkt zu machen: „Der Film thematisiert diese existenzielle Angst und fragt, wie Eltern die Verantwortung für ihre Kinder wahrnehmen können, wenn sie einfach nicht genug Zeit für sie haben? Dieses Problem ist allerdings kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die uns immer mehr arbeiten lässt. Ich habe den Eindruck, dass elterliches Versagen systemisch ist. Es existiert eine Verantwortungslücke, die dazu führt, dass manche Kinder zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Nun sollen Lehrer oder Betreuer diese Lücke füllen und die Verantwortung übernehmen. Aber in unserer Gesellschaft wird der Lehrberuf oft schlecht bezahlt und nicht genug geschätzt, obwohl er ein hoch angesehener Beruf sein und entsprechend bezahlt werden sollte.“ Das ist so einsichtig wie banal. Im Film treffen die vernachlässigten Kinder auf die schwarze Pädagogik einer Sektiererin, deren „Mutterkult“ allerdings nicht weiter ausgeführt wird.
So elitär sich der „Club Zero“ in der Schul-Öffentlichkeit geriet, so radikal entpuppt sich die märchenhafte Schlusspointe, die vom „Rattenfänger von Hameln“ inspiriert scheint. Wenn man es abstrakter fassen will, illustriert „Club Zero“ die nihilistische Variante der „Letzten Generation“, die sich angesichts der Erfahrung von Ohnmacht selbst aus dem Spiel nimmt. Hätte der Film die Absicht oder den Mut, dem Dargestellten eine Alternative entgegenzustellen, fiele diese unweigerlich naiv bis trivial aus. Oder eben reaktionär in Form des Plädoyers für traditionelle Familienmodelle oder sensible Schulbehörden.
Weder kritisch noch affirmativ
„Club Zero“ vermeidet diese Falle, indem er jede Identifikation verhindert und das Geschehen durch beständig wechselnde Tonlagen, die Kamera von Martin Gschlacht, durch Farbdramaturgie, Kostüme und Szenenbild auf einer Labor-ähnlichen Distanz hält. Nicht zuletzt deshalb erscheint „Club Zero“ als Erweiterung und Ergänzung zu Hausners Film „Little Joe“, in dem es um das Konzept von „Glück“ ging. Ein „Double Feature“ beider Filme gewährt einen unvollständigen Blick in gesellschaftliche Widersprüche, die dennoch wie bei einem Eisberg nur zu einem Bruchteil offenbar wird.
Damit scheint sich in den Filmen von Jessica Hausner das alte Carl-Sternheim-Problem zu wiederholen: Wie schätzt man ideologische Bestandsaufnahmen des „Juste Milieu“ ein, wenn der Erzähler bewusst nicht klarstellt, ob er sich kritisch oder affirmativ oder etwa beides gleichzeitig versteht? Denn wenn Brecht’sche Strategien der Distanzierung mit einer Polyperspektivität kombiniert werden, dann erscheint es schwierig bis ungenügend, von einer Gesellschaftssatire zu sprechen. Horrorfilm also und/oder Komödie? Solchen Sicherheit versprechenden Erwartungen ziehen die vielleicht etwas zu reflektierten Filme von Hausner den Boden unter den Füßen weg. „Club Zero“ bleibt spannend, nicht zuletzt dank der Filmmusik vom Markus Binder.