Vorstellungen
Filmkritik
Wer noch nicht wußte, daß die Zeiten Luis Trenkers und seiner idealistischen Bergsteiger endgültig vorbei sind, dem wird es in "Cliffhanger", Sylvester Stallones neuem Star-Vehikel, klar gemacht. Wenn sich Hollywoods Film- und Stunt-Crews in die Alpen begeben, dann gilt es nicht, in Not geratene Bergsteiger zu retten oder eine vaterländische Mission zu erfüllen, dann geht es - wie in jedem Hollywood-Thriller - simpel und einfach um Gauner und Moneten. Der amerikanische Alpenverein hat den Film gerühmt und sich anerkennend über die "Echtheit" der bergsteigerischen Leistungen geäußert. Doch auch diese Bergsteigerei hat in ihrer Extremheit nicht mehr viel mit Luis Trenker zu tun. Die Zeiten haben sich geändert, nicht nur im Flachland. Um das Positive vorwegzunehmen: Regisseur Renny Harlin ("Stirb langsam 2", fd 28 568), als gebürtiger Finne kaum zu einem Hochgebirgsfilm prädestiniert, hat ein unaufhörlich schweiß-treibendes Spektakel inszeniert, das über mehr riskante Situationen verfügt als sämtliche Trenker-Filme zusammen. Er setzt damit eine zaghafte Tradition fort, die im amerikanischen Kino mit Edward Dmytryks "Berg der Versuchung" (fd 5 615) begann und in Clint Eastwoods "Im Auftrag des Drachen" (fd 19 466) und Fred Zinnemanns "Am Rande des Abgrunds" (fd 23 914) ihre bisherigen Höhepunkte gefunden hat. Harlin reiht eine haarsträubende Situation an die andere, als gelte es, ein Marathon bergsteigerischer Risiken zu veranstalten: "Stirb langsam" in den Dolomiten. Ja, es sind die Dolomiten, obwohl fortwährend von Colorado geredet wird. Und sie haben in Auf - und Untersicht, aus Hubschraubern und mit modernstem Aufnahmegerät gefilmt, noch nie so dramatisch ausgesehen. Was Harlin nach wie vor abgeht, ist der Sinn für Ökonomie. Nicht nur stehen die beiden besten Sequenzen gleich am Anfang des Films, sondern der Wiederholungseffekt läßt die Anteilnahme des Zuschauers abnehmen, statt sie anzustacheln. Dadurch geschieht es, daß man leider beginnt, der Handlung eine gewisse Aufmerksamkeit zu widmen, und die bewegt sich auf einem Primitivniveau, das selbst für Actionfilme ungewöhnlich ist. Erzählt werden kann der Inhalt mühelos in wenigen Sätzen, ohne irgend etwas Wichtiges auszulassen. Nach der den Film einleitenden tragischen Rettungsaktion trägt sich Stallone alias Gabe Walker mit Schuldkomplexen und sein Kollege Hal von der Bergwacht mit ebenso großen Haßgefühlen. Trotzdem müssen sie wieder zusammenarbeiten, als eine Bande von skrupellosen Geldhaien, die bereits Mannschaft und Jet eines staatlichen Dollar-Transports von 100 Millionen förmlich ausradiert hat, mit ihrem eigenen Flugzeug in eisiger Bergeinsamkeit notlandet. Die Beute haben sie bei ihrem waghalsigen Unternehmen verloren; sie liegt irgendwo im Schnee verteilt. Gabe und Hal kommen ihnen gerade richtig, um zwischen abweisenden Bergtürmen und drohenden Lawinen die Suche nach den drei Koffern aufzunehmen. Der kinogewohnte Zuschauer erkennt John Lithgow, Hollywoods intellektuellen Standard-Ganoven, als den Obergangster und weiß von da an genau, welches Ende die Story nehmen wird. Bis dahin aber ist noch so mancher Abgrund, so manche Steilwand zu überwinden. Trotz der hohen Produktionsqualität der Stunts, der Bergaufnahmen und der Kletterszenen zeigt sich wieder einmal, daß ein Film ohne eine berührende Story nicht überleben kann. Offenbar hat auch Harlin die Schwächen gespürt und versucht deshalb im letzten Drittel, die abflauende Spannung mit einer guten Portion Sadismus und Brutalität aufzuheizen, nicht bemerkend, daß er den Film damit vollends dem Klischee des stereotypen Action-Kinos der 90er Jahre überläßt. Was macht es da noch aus, daß Unwahrscheinlichkeiten sich häufen und Sylvester Stallone agiert, als ob er sich auf den Straßen von Chicago bewege.