- RegieSteve McQueen
- ProduktionsländerVereinigtes Königreich
- Produktionsjahr2024
- Dauer120 Minuten
- GenreDramaKriegsfilmHistorie
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating6.6/10 (642) Stimmen
Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Im Spätsommer 1940 hat der Krieg London erreicht. Die Straßen der Stadt stehen in Flammen. Ein Wasserschlauch tobt inmitten des Infernos wie eine enthauptete Schlange, als die Feuerwehr den fast lächerlich wirkenden Versuch unternimmt, dem Feuer Einhalt zu gebieten.
Bevor das passiert, worauf hier alles hindeutet, bevor das Inferno die Feuerwehrleute, die Häuser, den Wohnblock und die ganze Stadt verschlingen kann, ist der nächste Tag angebrochen. Die Eröffnungssequenz und das in ihr gebannte Spektakel des Kriegs endet so plötzlich, wie es hereingebrochen ist. Der Krieg scheint verschwunden zu sein und ist nur noch als rußiger Hauch auf dem Gesicht von Rita (Saoirse Ronan) zu sehen. Die junge Mutter liegt regungslos, aber keineswegs friedlich neben ihrem Sohn George (Elliott Heffernan). Ihre Halsschlagader pocht heftig, während sie das Ende der Atempause erwartet, die der Krieg gewährt. Am Abend flieht die Familie weiter Richtung Untergrund, wird aber beim überfüllten Bunker abgewiesen und findet erst im letzten Moment in U-Bahn-Tunneln der Stadt Unterschlupf.
Zurück nach London
Zusammen mit dem Großvater (Paul Weller) erleben George und Rita den „Blitz“ genannten Luftüberfall der Nazis in London. Die Zeit, die sie früher gemeinsam am kleinen Piano verbrachten, vergeht heute zwischen der Arbeit in der Munitionsfabrik und den Nächten im Bunker. Wie das unbeschwerte Leben existiert auch der Ehemann und Vater nur noch in der Vergangenheitsform. Der Junge versteht nicht so recht, was „deportiert“ bedeutet, hält aber umso stärker an der Familie und ihrer Reihenwohnung fest, auch wenn das Leben in der Stadt längst zu gefährlich geworden ist, wie Rita immer deutlicher spürt. Doch als sie ihren Sohn wie unzählige andere Eltern vor ihr schließlich aufs Land schickt, springt George kurzerhand aus dem fahrenden Zug, um sich auf den Weg zurück nach London zu machen.
Der Krieg, der hier zwischen Arbeits- und Familienalltag einschlägt, ist nicht das barbarische Spektakel wie an der Front. Der Tod kommt nicht als wahnsinnige Vernichtungsmaschine daher, er trennt nicht Gliedmaßen ab und zerfetzt nicht Körper, um Blut und Eingeweide auf der Erde zu verteilen. Der Blitz, das Flächenbombardement Londons, ist kein Gefecht. Die Gewalt der Luftangriffe dringt vielmehr in die Routine des alltäglichen Lebens ein: Plötzlich fehlt jemand, ein Geliebter, eine Vertraute, ein bekanntes Gesicht ist nun verschwunden. Der Krieg vernichtet das Versprechen des täglichen Wiedersehens, er zwängt das Leben in den winzigen Horizont, der sich zwischen zwei Fliegeralarmen auftut.
In tausend Teile zerbombt
Acht Monate lang widerstand die britische und insbesondere die Londoner Bevölkerung dem Bombenterror der Nazis. Der „Blitz“ ist als Sieg der Zivilgesellschaft in London über den Terror der Nazis in die Geschichte eingegangen. Als Luftkrieg ist er auch in dem Film von Steve McQueen eine universelle Erfahrung. Zugleich aber betont die Geschichte des schwarzen Jungen und seiner weißen Mutter wieder und wieder, dass das Leben in London und der todbringende Krieg jedes Leben, jede Familie, jedes Viertel, jede Ethnie und jede Gesellschaftsschicht anders berührt.
Als Gesamtkonstrukt ist „Blitz“ um die Wärme, aber auch die Reibung gebaut, die entsteht, wenn eine Gemeinschaft gezwungen ist, zusammenzustehen. Keine Perspektive wäre dafür geeigneter als die eines schwarzen Jungen. Eine gespenstisch intakte Oxford Road, wo ihn der Wachmann vom Schaufenster des Kaufhauses wegscheucht, erscheint ebenso unheimlich wie die zerbombten Teile des Einkaufsviertels, wo Plünderer den Jungen zwingen, Schmuck zu stehlen.
Die Bomben haben Londons Seele in tausend Teile gebombt. Der Luxus liegt in Trümmern, der Tod nistet sich im Alltag ein, die Bigotterie drängt sich zwischen die Solidarität. Es steckt viel Ambition hinter diesem Versuch, all das in einem Kriegsdrama abzubilden. Formal ist „Blitz“ ein aus politischen Kippbildern konstruiertes Abenteuer. Luxus, Status oder ethnische und soziale Zugehörigkeiten sind im Bombenhagel keine sicheren Kategorien mehr. Als George aus Selbsterhaltung seine Identität verleugnet, steht ihm der schwarze Luftschutzwächter Ife (Benjamin Clémentine) bei; als sich eine Familie mit indischen Wurzeln im Bunker niederlässt, hängen die rassistischen Nachbarn ein Tuch auf, um sie auszugrenzen.
So plump diese historisch-soziologischen Kippbilder auf dem Papier auch sein mögen, so gut fügen sie sich zu einer brutal-nostalgischen Vorher/Nachher-Diashow zusammen. Dort, wo schwarze Musiker noch vom wohlhabenden London gefeiert werden, wo die Gesellschaft im eigenen Luxus, in der Diversität der eigenen Kultur, im Glanz der Nostalgie badet, schlagen die Bomben der Luftwaffe ein. George betritt die Konzerthalle nach dem Inferno. Die Gesellschaft sitzt mit geplatzten Lungen noch dort, wo eben noch Champagner serviert wurde. Das Leben ist ausgehaucht, der Glanz mit Asche bedeckt. Jede Form der prachtvollen Nostalgie bekommt eine Bombe zugewiesen, jede Erinnerung an die Unbeschwertheit vor dem Krieg einen Widerhaken. London mag sich zu einem so lebhaften wie diversen Widerstand aufgebäumt haben, er bleibt fragil.