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Filmkritik
Es ist der Höhepunkt von „Bis ans Ende der Nacht“ und eine grandios traurige Szene, übervoll von unerfüllter Leidenschaft und unmöglichem Begehren. Leni (Thea Ehre) und Robert (Timocin Ziegler) mögen zwar am selben Ort sein, doch zwischen ihnen liegt ein unüberwindbarer Abstand. Beide bewegen sich immerwährend in ihren eigenen Welten. Auch jetzt, auf dem Autorastplatz. Sie küssen sich leidenschaftlich, wobei sie eigentlich lediglich ihre Lippen auf die Scheibe des Autofensters zwischen ihnen pressen. Der Hauch des Atems und der Lust beschlägt das Glas.
Leni sitzt im Inneren, beginnt sich selbst zu streicheln. Robert steht an die Autotür gelehnt und masturbiert, bis das Sperma an die Scheibe spritzt. Selten hat es im Kino eine traurigere, existenziellere Sexszene gegeben. Die Nähe zwischen diesen beiden Menschen ist wohl schon immer auf Distanz gestellt gewesen. All das kulminiert in einem Akt autoerotischer Illusion, in der sich ihre Einsamkeit ausdrückt.
Radikal „dazwischen“
Anhand dieser Szene lässt sich begreifen, welche filmische Kraft „Bis ans Ende der Nacht“ innewohnt. Regisseur Christoph Hochhäusler hat wahrlich eine Bildsprache und eine Erzählhaltung gefunden, die sich im Dazwischen bewegt. Leni ist wegen Dealens im Gefängnis gelandet, noch vor ihrer Geschlechtsumwandlung, noch vor ihrer Geschlechtsumwandlung waren sie und der schwule Polizist Robert zusammen, nun sollen sie ein Paar spielen. Damit will die Polizei an Dark-Web-Drogenhändler Victor Arth (Michael Sideris) herankommen und holt Leni mit dem Versprechen auf Freiheit aus dem Knast. Sie ist der Schlüssel, um an Arth heranzukommen, da sie früher für den ehemaligen Musiker als Tontechniker gearbeitet hat. Man kennt sich also, schleppt Vergangenheiten, echte und vorgespielte, mit sich herum.
Als Leni über ihre Transition spricht, betont sie, dass manche das nicht verstehen würden. Robert ist einer davon. Immer wieder entlädt sich dessen Frust mit unangenehmer Wut gegen den „Mann mit Brüsten“. Doch „Bis ans Ende der Nacht“ biedert sich nicht dem Zeitgeist an. Hier wird das Thema vielmehr aus einer unerwarteten Perspektive durchgearbeitet, was mitunter extrem schmerzhaft und brutal ist.
Ein queeres Melodram
Mit diesem queeren Melodram verbindet sich zunehmend die Kriminalhandlung, bis sich die Stränge nicht mehr unterscheiden lassen. Ausgerechnet bei einem Tanzkurs gelingt dem Undercover-Ermittler und seiner vermeintlichen Freundin die Kontaktaufnahme. Gemeinsam gewinnt man das Vertrauen des Clubbesitzers. Doch die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen zunehmend, falls sie in der Welt von Robert und Leni jemals bestanden haben.
Nicht wenige Stimmen haben nach der Berlinale-Premiere von „Bis ans Ende der Nacht“ eine Unentschiedenheit zwischen Kriminalfilm und Melodram moniert, so als hätte Hochhäusler selbst nicht gewusst, was er für einen Film drehen wollte. Dabei ist gerade dieses Verschwimmen, die Uneindeutigkeit, das zentrale Thema, das durch die grandiose Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider und die expressive Montage von Stefan Stabenow in eine betörend-irritierende Form gebracht wird.
„Bis ans Ende der Nacht“ ist immer wieder von Kamerafahrten durchzogen, die von links nach rechts den Raum durchmessen, zurückspringen, erneut ansetzen: eine Suchbewegung, möglicherweise als Versuch, einen Anfang zu finden, einen Fixpunkt, den es nicht gibt. Gleichzeitig und wie als Gegenpol zu dieser Bewegung haben die Bilder eine Enge, wirken die Figuren eingesperrt, auf ihr Milieu reduziert.
Die Küche von Robert dafür ist ein gutes Beispiel. Er spielt als Undercover-Agent einen Koch und steht dafür in einer Sozialwohnung, in der zwei Menschen kaum gleichzeitig arbeiten können, gerahmt von der Durchreiche. Obwohl es eine Öffnung gibt, scheint es in diesem Film kein Entrinnen zu geben.
Das Ende hat seine eigene Zeit
Es ist das titelgebende „Ende der Nacht“, das die Richtung vorgibt. Dieses Ende ist aber weder ein Zeitpunkt noch ein genau bestimmbarer Moment. Es handelt sich um ein Interim, einen Übergang oder eine Zwischenzeit, in der sich die kommenden Aufgaben des Tages noch hinauszögern lassen. Es ist der Weg vom Club nach Hause, der erste Kaffee, eine Abmachung: Das Ende hat seine eigene Zeit. An dieser nimmt man teil in einem Film, der wandelt wie ein schlaftrunkener Traum, bei dem man sich fragen muss, wer ihn eigentlich träumt. Woher drängen beispielsweise diese romantisch-konservativen Schlager in den Film? Das Sehnsüchtige bleibt die offene Wunde des Films. Bis das Ende schließlich alles einholt und verschließt.