Vorstellungen
Filmkritik
„Das kann man nicht erlernen. Entweder du hast es – oder du bleibst ein niemand.“ Solche Sätze über das angeborene Show-Talent hört der kleine Robbie Williams zuhause von seinem absoluten Vorbild: seinem Vater. Abends lässt der Konzerte von Frank Sinatra auf dem klapprigen Fernseher laufen – bevor er sich mit seinem Sohn in eine hinreißende Gesangs- und Tanzeinlage stürzt. Viel lieber aber unterhält er als Sänger und Stand-up-Comedian „Pete Conway“ die Pub-Besucher im ärmlichen Städtchen Stoke-on-Trent bis spät in die Nacht hinein.
Du bist kein Niemand
Der junge Robbie, der sich nach der Aufmerksamkeit des Vaters sehnt und diese zumindest von den Gleichaltrigen bekommt, wenn er sich zum Affen macht, wird tatsächlich von einem solchen dargestellt: Ein kleiner Schimpanse sitzt abends mit Schaum im drahtigen Haar in der Badewanne und lässt sich von seiner Großmutter trösten: „Du bist kein niemand. Du bist genug!“
Das ist der emotionale Grundstein, der hier für eine außergewöhnliche Karriere – und ein außergewöhnliches Biopic – gelegt wird. Oder besser: weggenommen wird, nachdem der Vater die Familie verlässt, um als Entertainer in Feriencamps aufzutreten. Es geht in „Better Man – Die Robbie Williams Story“ von Michael Gracey um das Wachsen und Zerbrechen an väterlichen Ansprüchen, um das Gefühl des Nicht-Genügens und darum, die Menschen auf Teufel komm raus unterhalten zu wollen, egal wie und egal zu welchem Preis.
Mit den großen Vorbildern des Vaters (Sinatra, Sammy Davis Jr., Dean Martin) im Rücken nimmt der junge Robbie Williams Anlauf für den eigenen kometenhaften Aufstieg: die erfolgreiche Teilnahme am Casting einer Boyband namens „Take That“, der phänomenale Erfolg ihrer ins Absurde überzeichneten Konzertauftritte, sein eigener Aufstieg inklusive Alkohol- und Drogensucht, das wiederholte Straucheln inmitten der sich rasant entwickelnden Solokarriere – und alles im Schatten des abwesenden Vaters. „Better Man“ stellt damit einen universalen Vater-Sohn-Konflikt in den emotionalen Mittelpunkt, wie er schon seit der Antike erzählt wird – aber selten mit einer solchen inszenatorischen und musikalischen Wucht.
Ein Flashmob aus Passanten
Was sind das für fantastische Plansequenzen, die scheinbar ohne Schnitt auskommen und dabei Monate, wenn nicht sogar Jahre im Leben des Popstars Robbie Williams zusammenfassen und straffen. Es ist atemberaubend und mitreißend, wenn „Take That“ nach ihrem ersten Plattendeal einen lebensgroßen Pappaufsteller der Band durchbrechen und zu Williams’ Song „Rock DJ“ durch die Straßen von London wirbeln. Fan-Ekstase, skurrile Modestile und ikonische Bühnenchoreografien verschmelzen darin als Flashmob der Passanten. Atemberaubend schön und traurig zugleich ist die Sequenz eines ersten Kennenlern-Tanzes auf einer Luxus-Yacht, bei der die große, scheiternde Liebe zur Sängerin Nicole Appleton mitsamt der Abtreibung ihres gemeinsamen Kinds erzählt wird.
Diese Sequenzen sind so voll mitreißender Kraft, Bewegungs- und Inszenierungsfreude, dass man nicht umhinkommt, der großen Leinwand Tribut für eine überwältigende Bilderflut aus Showbiz und Star-Persona zu zollen, begleitet von den berührendsten Robbie-Williams-Hits. Was im Detail auf den großen Eklat mit „Take That“ und dem Manager Martin Nigel-Smith folgte – eine phänomenale Solokarriere voller Aufs und Abs, ist Musikgeschichte und in der Doku-Serie „Robbie Williams“ (2023) minutiös nachzuverfolgen. In „Better Man“ wird das, was Fans längst über die schon immer mit viel privater Bedeutung aufgeladenen Songzeilen von Robbie Williams wussten, nun in echte Kinobilder gegossen: Die Enttäuschung der sich aufopfernden Mutter, die Trauer über den Tod der Großmutter, die Selbstzweifel und die Selbstsabotage, beides gleichermaßen zerstörerisch. Umso steiler dann der Aufstieg und umso tiefer der Fall – inklusive einer hyper-emotionalen Katharsis mit einem Ende, an dem das Verzeihen steht, auch sich selbst gegenüber.
Der Affe als Spiegel
Das klingt nach schwerer Kost, und doch verliert „Better Man“ nie seinen humorvollen Grundton, was angesichts der Auswüchse des ultimativen Pop-Jahrzehnts der 1990er-Jahre plus der oftmals tragikomischen Selbstinszenierung von Robbie Williams auch nicht allzu schwer gewesen sein mag.
Der Grund, dass der medial maximal ausgeschlachtete Popstar Robbie Williams in dem in der hörenswerten englischen Originalfassung selbst eingesprochenen Film von einem Affen dargestellt wird, ist mehr als augenfällig. Er habe sich mit seinen Kunststückchen oft wie ein Zirkusaffe gefühlt, „primitiver“ als all die anderen. Auf der anderen Seite sorgt diese Wahl als Sinnbild der Entfremdung für verblüffende Ähnlichkeiten. In den Grimassen, Gesten und Frisuren der computergenerierten Figur steckt so viel Robbie Williams, dass die Kameras ihr Objekt wochenlang von allen Seiten, mit jedem Blinzeln und jeder Lachfalte, minutiös eingefangen haben müssen.
Diese „Besetzung“ ist ein kluger Schachzug, denn dem echten Robbie Williams hätte man neben eventuell mangelnden darstellerischen Fähigkeiten immer auch sein Alter angesehen. Und bei einem Doppelgänger wäre es immer auch um die Nicht-Ähnlichkeit gegangen. Der Schimpanse hingegen verkörpert das Animalische, aber auch die Wehr- und Schutzlosigkeit eines Außenseiters, der einen einsamen Kampf mit seinen inneren Dämonen ausficht, im Film materialisiert als Williams’ imaginierte Affen-Alter Egos voller aggressiver Selbstkritik inmitten des ihm zujubelnden Publikums.
Wie viel Wahrheit und Entblößung in seiner Geschichte stecken, hat Robbie Williams (und vielleicht auch das Management) immer selbst entschieden – in den Songs und bei Bühnenauftritten, die wie Nabelschau und Selbstbespiegelung zugleich wirkten. Auch „Better Man“ wirkt als Coming-of-Age-Musical an dieser Legendenbildung mit. Auf vielen Ebenen funktioniert das auch für Zuschauer, die bislang kaum mit „Take That“ oder Robbie Williams in Berührung gekommen sind. Denn die Sehnsucht, ein „besserer Mensch“ zu werden, teilen wohl die meisten – besser als es die anderen vorhergesagt haben, besser als die Band, die einen nicht mehr wollte, besser vor allem als der Vater, der für das Nacheifern im Schatten seiner alten Idole das Idol der Zukunft zuhause zurückließ.
I did it my way
Und so singen auch Pete Conway und Robbie Williams am Ende voller Inbrunst den ikonischsten Song eines Showtalents, das keinen Skandal und kein alkoholisches Getränk ausgelassen hat: „I did it my way“ – von Frank Sinatra.