Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Für sein kommendes Buch über Gemeinschaften interviewt der in Berlin lebende US-Amerikaner Ben (Eric Bana) eine Frau, die ihr Leben komplett ins Virtuelle verlagert hat. Ihr Apartment hat sie schon lange nicht mehr verlassen, das Gespräch mit dem Wissenschaftler findet deshalb durch die geschlossene Wohnungstür statt. Dabei erkennt Ben sein Gegenüber durch das Milchglas der Tür nur schemenhaft und verzerrt.
Im Thriller „Berlin Nobody“ spielt nicht nur der Wunsch nach Zugehörigkeit, sondern auch gestörte Kommunikation eine entscheidende Rolle. Bei seiner von der Ermittlerin Nina (Sylvia Hoeks) unterstützten Recherche kommt Ben schließlich einer dubiosen Öko-Sekte auf die Spur, die diese Sehnsucht nach Verbundenheit zu instrumentalisieren weiß. Die demonstrative Sanftheit der weltentrückten Anführerin Hilma (Sophie Rois) sowie ihre Predigt vom selbstlosen Individuum, das sich den Interessen des Kollektivs unterzuordnen habe, wirken wie ein Magnet auf junge verlorene Seelen. Wie der Aktivismus allerdings endet, zeigt ein Gruppensuizid, mit dem der gequälte Planet gereinigt werden soll.
Vermeintliche Geborgenheit
Deutlich schlechter als bei dem Kult ist der Zusammenhalt in Bens Familie. Nachdem der Psychologe von seiner Frau verlassen wurde, kommt ihn seine Tochter Mazzy (Sadie Sink) in Berlin besuchen. Doch die beiden finden nicht zueinander. Bezeichnenderweise kann Ben sie bereits aus Zeitgründen nicht vom Flughafen abholen. Stattdessen lernt die junge Frau auf ihrem Weg in die Stadt den sympathischen Sonderling Martin (Jonas Dassler) kennen. Dass Mazzy bald von der vermeintlichen Geborgenheit der Sekte angelockt wird und ihre neue Bekanntschaft der Anführerin Hilma längst verfallen ist, daraus macht der Film bereits am Anfang kein großes Geheimnis.
Auch sonst fällt die Handlung oft vorhersehbar aus. Als Schwäche des Drehbuchs erweist sich nicht nur das zunächst etwas gemächliche Erzähltempo, sondern auch das Paradox, einerseits auf Twists zu setzen, sie andererseits aber zu früh und überdeutlich anzudeuten. Auf den ersten Blick ist „Berlin Nobody“ ein klassisches B-Movie, das mit überschaubarem Budget auf bewährte Erzählmuster zurückgreift. Die Entfremdung zwischen Vater und Tochter bleibt dabei ähnlich formelhaft wie der Plot um die gefährliche Sekte, der mit seinen Bezügen zum Klima-Aktivismus allerdings ein modernes Update bekommt. Trotzdem gelingt es Regisseurin Jordan Scott, der Tochter von Ridley Scott, immer wieder, das mittelmäßige Skript mit inszenatorischem Schwung ins rechte Licht zu rücken.
Traumähnlich rätselhafte Momente
Wie bei der eingangs beschriebenen Szene mit der Tür profitiert die Geschichte oft davon, dass Scott auch visuell zu erzählen weiß. So sind etwa mehrmals traumähnlich rätselhafte Momente zu sehen, in denen Bildaufnahmen rückwärts abgespielt werden. Erst später offenbart sich, dass diese umgedrehte Chronologie auf ein früheres Trauma abzielt, das schließlich durch Wiederholung geheilt werden muss. Ein sicheres Händchen beweist Scott auch bei der scheuen Beziehung, die sich zwischen Mazzy und Martin entwickelt. Beide wirken gleichermaßen einsam, liebesbedürftig und verwundbar. Erst als das Paar gemeinsam halluzinogene Pilze im Wald nimmt, kommt es sich tastend und unsicher näher.
Der lose auf Nicholas Hoggs Roman „Tokyo“ basierende „Berlin Nobody“ ist der neueste Streich der Kölner Produktionsfirma augenschein, die sich nicht mit dem schweren Stand des deutschen Genrekinos abfinden will. In der Vergangenheit hat sie bereits internationale Ko-Produktionen wie „7500“ und „The Dive“ zwar in Deutschland gedreht, aber überwiegend auf Englisch und mit mehrsprachiger Besetzung. Eine Entscheidung, durch die sich die Filme besser für den Weltmarkt eignen sollen.
Mit kaltem Licht und grauem Schleier
Im Hinblick darauf ist es auch naheliegend, dass der touristische Reiz der deutschen Hauptstadt zur Geltung kommen soll. Dabei ist es der Verdienst von Kamerafrau Julie Kirkwood (die unter anderem Karyn Kusamas Neo-Noir „Destroyer“ fotografiert hat), Berlin mit kaltem Licht und grauem Schleier eine düstere Unergründlichkeit zu verleihen. Die Bilder sind komplex aufgebaut, führen durch ihren gestaffelten Aufbau in die Tiefe und scheinen durch ihr Gespür für Räumlichkeit und Atmosphäre regelrecht zu atmen. Abgesehen von einigen unvermeidbaren Postkartenansichten mit Fernsehturm gelingt es Kirkwood, die Stadt als lebendigen Organismus in Szene zu setzen; egal ob bei einer mit natürlicher Nebensächlichkeit gedrehten Sequenz in der U-Bahn oder bei den ekstatischen Umtrieben in einem industriellen Technoclub.
Gegen Ende wird „Berlin Nobody“ auch ein wenig rasender und verrückter, wobei der Film mehr mit einem möglichen Exzess spielt, als ihn tatsächlich umzusetzen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schauspielerin Sophie Rois, deren exzentrische Darbietung der Höhepunkt des Films ist. Ihre diabolische Sektenmutter gibt sie mit sichtbarer Lust an der Abgründigkeit ihrer Rolle. Doch der Wahnsinn wird lediglich durch den irren Blick und die bebende Stimme angedeutet, bricht aber nie wirklich aus ihr heraus. Dass die Figur zwar als Karikatur angelegt ist, dafür aber letztlich doch zu real ist, ist exemplarisch für den sonderbaren Widerspruch des Films, sein reißerisches Sujet überraschend gediegen umzusetzen.