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Filmplakat von Averroès & Rosa Parks

Averroès & Rosa Parks

143 min | Dokumentarfilm | FSK 12
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„Averroes“ und „Rosa Parks“ heißen zwei Abteilungen der Klinik für Psychiatrie Esquirol in Paris. Sie gehören zum selben Verbund wie die auf der Seine schwimmende Tagesklinik Adamant, die im Zentrum von Nicolas Philiberts Film AUF DER ADAMANT steht. In AVERROES & ROSA PARKS setzt Philibert seine Beschäftigung mit dem Thema fort. In Einzelinterviews und Gesprächen zwischen Patient*innen und Betreuer*innen zeigt der Filmemacher eine Form von psychiatrischer Arbeit, die dem Wort der Patient*innen viel Raum gibt. Stück für Stück öffnen sich die Türen in deren Welten. Der Film geht der Frage nach, wie sich mit den Möglichkeiten eines an seine Grenzen kommenden Gesundheitssystems für benachteiligte Menschen ein Platz in der Gesellschaft einräumen lässt.

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Filmkritik

Gefängnisse, Schulen, Krankenhäuser: Die Begriffe fallen gleich zu Beginn von „Averroès & Rosa Parks“. Bei einer Gruppensitzung in einer psychiatrischen Einrichtung werden Bilder einer Drohnenkamera betrachtet. Sie kreist über das großflächige Gelände jener Institution, in der die Protagonisten gerade zusammensitzen: das Krankenhaus von Saint-Maurice bei Paris. Der monumentale Gebäudekomplex aus kastenförmig sich wiederholenden Strukturen lässt an Michel Foucaults Theorien zur Einschließung und Disziplinarmacht denken. Nach der kurzen topografischen Bestandsaufnahme verlagert der Filmemacher Nicolas Philibert jedoch den Blick weg von der Institution und ihrer Implikationen auf die darin betreuten und betreuenden Menschen.

Wieder in die Gesellschaft zurückfinden

„Averroès und Rosa Parks“ ist der zweite Teil einer Trilogie über Neurodiversität. Der erste Teil „Auf der Adamant“, der 2023 den „Goldenen Bären“ der Berlinale gewann, begleitete den Alltag in der auf der Seine schwimmenden Pariser Tagesklinik Adamant, die ebenso wie die beiden Abteilungen „Averroès“ und „Rosa Parks“ zur Klinik für Psychiatrie Esquirol gehören. Der Name Adamant fällt im Film auch immer wieder; einige der Patient:innen haben dort bereits an Therapien teilgenommen. In diesem Zusammenhang wird aber auch klar, dass ihre jetzige Situation es ihnen nicht mehr erlaubt, an vergleichbaren Programmen teilzunehmen. Zumindest die Institution erklärt sie momentan noch nicht für fähig, ein Leben in einem „unterstützenden Rahmen“ zu leben, wie es einmal heißt. Dorthin zu gelangen, wieder Teil der so genannten „Gesellschaft“ zu sein, ist das von beiden Seiten immer wieder bekräftigte Ziel.

Wie in „Auf der Adamant“ steht auch in „Averroès und Rosa Parks“ das Sprechen im Zentrum; meist zu zweit, manchmal auch mit mehreren Betreuer:innen oder im Rahmen von Gruppenprogrammen. Die Gespräche kreisen um die gegenwärtige Situation, um Perspektiven wie um die meist langjährigen Erfahrungen mit psychisch destabilisierenden Phasen. Monsieur Obadia bekommt das Angebot, probeweise in eine Gemeinschaftswohnung zu wechseln; er macht sich Gedanken, ob er in der Ausübung seiner religiösen Praxis behindert werden könnte. Ein von einer schizoaffektiven Störung betroffener Patient spricht von „nutzloser Zeit“; er möchte dringend wieder arbeiten und zieht in der Beurteilung seiner Psychiater:innen Fußballvergleiche heran. Eine ältere Frau glaubt sich verfolgt; ihre Angst hat sich tief in ihren Körper geschrieben. Später erleidet sie einen selbst verursachten Brandunfall und berichtet verzweifelt darüber.

In einer anderen Wirklichkeit

Manchmal driften die Gespräche nahtlos in „andere“ Wirklichkeiten wie bei einem Mann, der seinen verstorbenen Vater und Großvater in wechselnden Personen wiedergefunden hat. Die Ärztinnen und Ärzte geben diesen Perspektiven Raum, versuchen dabei aber auch immer das Gespräch wieder auf den Boden der greifbaren „Wirklichkeit“ zu bringen: „Es ist eine Art der Logik, aber es ist nicht die Realität“. Die Replik kommt prompt: „Belästigen Sie mich nicht mit ihrer Realität“.

Vielleicht liegt es an dem formatierteren Rahmen der Klink, dass „Averroès und Rosa Parks“ deutlich konzentrierter wirkt als „Auf der Adamant“. Hier stehen nicht die Ausnahmeeinrichtung und die Kreativität vor der Kamera, sondern die Menschen, ihre persönliche Geschichte, ihre Wahrnehmung und Sprache, die Gesichter. Philibert filmt sie meist in halbnahen Einstellungen, oftmals mit Gegenschnitt auf die betreuenden Personen. Nur gelegentlich fällt der Blick auf Flure und die nähere Umgebung wie die von Parkbänken gesäumten Grünanlagen. Meist bleibt er jedoch an der nächstgelegenen Tür hängen.

„Averroès“ und „Rosa Parks“ sind keine Gefängnisse, aber eben auch keine Einrichtungen, in denen ein selbstbestimmtes Leben möglich ist. Bei einer Diskussionsrunde kommt einmal die Anti-Psychiatriebewegung zur Sprache. Dass die Abteilungen, in denen sie betreut werden, ein anderes Modell verkörpern, ist den Patient:innen schmerzlich bewusst. Wiederholt äußern sie Kritik an Missständen: an gestresstem Klinikpersonal, dem Mangel an Zuwendung oder auch an Informationslücken, die durch die Umstellung von Akten auf digitale Daten entstehen – mit teils drastischen Folgen, etwa mit Blick auf die Medikation.

Orte der Zuneigung

Der Film begegnet diesen Mängeln, indem er dem Sprechen und Zuhören Raum und Zeit gibt. Philibert bleibt dennoch nüchtern und beschönigt nichts. Die Orte „Averroès“ und „Rosa Parks“ bieten sich, anders als etwa die Adamant, kaum zur Idealisierung „kreativen“ Denkens an. Dagegen scheint in der Sprache des Klinikpersonals bei aller Geduld und Empathie immer wieder sehr deutlich die Struktur des psychiatrischen Apparats durch: „Wir bleiben weiter ihr Referenzsektor“. Auf der anderen Seite steht der Wunsch nach einem „menschlichen Krankenhaus“, einem „Ort der Zuneigung“.

Erschienen auf filmdienst.deAverroès & Rosa ParksVon: Esther Buss (24.7.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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