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Filmkritik
Sara und Jean sind nun schon ein ganzes Stück ihres Lebens gemeinsam gegangen. Die erste Szene zeigt sie lange im Meer. Ihre Körper, die gelöst sind und weich, treiben umher, umkreisen sich und finden immer wieder zu Umarmungen zusammen. Einmal taucht die Kamera von Eric Gautier unter Wasser, und man sieht, wie Sara und Jean Hand in Hand nebeneinander ein paar Schritte tun. Eine Kamerafahrt über Bahnschienen, gefilmt aus dem Führerhaus einer Lok, verlängert das Gefühl des Gleitens. Auch als das Paar nach der Reise in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt, spricht aus seinen Bewegungen, Blicken und Gesten so viel Liebe, Nähe, Verbundenheit und Vertrauen, dass all das in Gefahr zu bringen ein ziemlicher Wahnsinn wäre. Doch von genau diesem Wahnsinn erzählt Claire Denis in „Avec amour et acharnement“, ihrer mittlerweile dritten Zusammenarbeit mit der Drehbuchautorin Christine Angot.
Das Telefon neben dem Bett
Bewegungen, harmonisch, im Fluss und widerstreitend, schneidend, sind im Film der Motor eines Beziehungsgefüges, das Claire Denis bis in seine Feinmechanik hinein ergründet. „Warum bin ich mit dem zusammen, der weggeht?“, hat sich Sara einmal gefragt. Da war sie noch mit François liiert, Jeans engem Freund. Zehn Jahre später sieht sie ihn zufällig auf der Straße wieder. Und schon bohrt sich die Klinge, von der im englischen Titel des Films die Rede ist – „Both Sides of the Blade“ –, mitten in ihr Herz und scheuert am Band ihrer glücklichen Beziehung. Als François seinem Freund vorschlägt, zusammen eine Agentur für Sportler zu gründen, kreuzen sich die Wege unvermeidlich, zieht sich die Schlinge fester.
Die Liebe ist im Film eine gefährliche, gewaltige Kraft. „Jetzt geht es wieder los“, sagt Sara zu sich, „die Panik, die Angst, das Telefon neben dem Bett.“ Im Film kündigt sich das wiederaufflammende Begehren mit dem Suspense eines Thrillers an: Blicke, die von Unsicherheit und Misstrauen geprägt sind, Fragen, die mit falscher Beiläufigkeit gestellt werden, ein lauerndes Gespräch auf der Türschwelle. Hinzu kommen die gedehnten, zehrenden Klänge von Stuart Staples, dem langjährigen Sound-Kollaborateur von Claire Denis.
Risse durchziehen die Welt
„Avec amour et acharnement“ spielt in einem Milieu, das neben dem Beziehungsschauplatz auch an anderen Stellen Risse zeigt. Jean ist ein ehemaliger Rugby-Spieler mit Knast-Vergangenheit. Sein heranwachsender Sohn, der aus einer Beziehung mit einer Frau aus Martinique hervorgegangen ist, lebt bei der Großmutter und strauchelt bei seiner Suche nach Identität und Zugehörigkeit. Dass die alten Gewissheiten von quälenden Zweifeln abgelöst wurden, drängt sich auch in Saras Arbeit als Radiomoderatorin hinein. In ihrer Sendung stellt sie Musik aus dem Libanon vor und spricht mit einem Autor von den Antillen über die Herausforderungen der postkolonialen Gegenwart. Ganz selbstverständlich miterzählt wird im Film auch ein anderer Umbruch: die Corona-Pandemie.
Claire Denis ist dafür bekannt, auch über ihre weiblichen Charaktere unschöne Wahrheiten auszusprechen. Ihr Begriff von Handlungsmacht misst sich vor allem an der vorwärtsdrängenden Entschlossenheit („acharnement“) der Figuren, etwa Dinge zu tun, von denen sie wissen, dass sie Schaden anrichten, an anderen wie an sich selbst. Gautiers Kamera ist bei diesem Prozess, der von Schmerz wie von Genuss begleitet ist, nah an Gesichtern und Körpern, sie spürt jede Regung auf, registriert jedes Zittern und Beben.
Das stechende, klagende Herz
Grégoire Colin umgibt als François ein gefährliches Schillern, in dem der jugendliche Draufgängergeist noch immer durchscheint. Vincent Lindon, sehnig, knochig, mit dünnen Lippen, erinnert als Jean an ein Tier, das einen drohenden Sturm wittert, Juliette Binoche, weich und zerfließend, fasst sich ans stechende Herz, klagt, seufzt und verzehrt sich. Der Boden, auf dem die beiden nebeneinander so vertraut zu gehen wussten, ist haltlos, erodiert.