- RegieSara Nodjoumi, Till Schauder
- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Produktionsjahr2024
- Dauer96 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.4/10 (89) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
„Wie können die muslimischen Massen diese Gemälde tolerieren?“, schrieb die Presse über die Ausstellung „A Report on the Revolution“ des iranischen Malers Nickzad „Nicky“ Nodjoumi. „Möge der Verräter in Scham ertrinken“. Als scharfer Kritiker des gerade gestürzten Schah-Regimes galt Nodjoumi zunächst als willkommener Vertreter des sich gerade neu formierenden Kulturbetriebs im Iran. Doch nachdem er auf seinen Gemälden Ajatollah Chomeini als zornigen Mann dargestellt und die Gewalt der Islamischen Revolution zum Thema gemacht hatte, wurde es für ihn gefährlich. Radikale Islamisten stürmten das Museum für zeitgenössische Kunst in Teheran. Es hieß, dass seine Gemälde mit Messern und Feuer attackiert worden wären. 1980 floh Nodjoumi aus dem Iran zu seiner in den USA lebenden Frau. Was mit seinen rund hundert Arbeiten geschah, blieb im Dunkeln. Mit dem doppelten Verlust – der Heimat und seiner Werke – sah sich der Künstler um einen Teil seines Selbst gebracht und schlidderte in eine tiefe Krise. Mit einschneidenden Folgen für seine Familie.
Macht, Gewalt und Unterdrückung
Die Filmemacherin Sara Nodjoumi musste ihren Vater von klein auf mit zwei übermächtigen Größen teilen, gegen die sie wie auch die Mutter stets das Nachsehen hatte: mit der Kunst und dem politischen Aktivismus. Beides ist bei Nickzad Nodjoumi bis heute untrennbar miteinander verbunden. Seine häufig auf medialen Bildvorlagen basierenden Gemälde kreisen um Macht, Gewalt und Unterdrückung. Durch ihre leicht dechiffrierbare Symbolsprache sind sie auch als Chronik der zeitgeschichtlichen Ereignisse zu lesen. Anders gesagt: es handelt sich um eine Art von politischer Reportage mit den Mitteln der Malerei.
Initialzündung von „A Revolution on Canvas“ waren die durch den gewaltsamen Tod von Jina Masha Amini ausgelösten Massenproteste im Iran im Jahr 2022. Die Filmemacherin Sara Nodjoumi begann sich intensiver mit der Geschichte ihres Vaters und dem Verbleib der verschwundenen Bilder zu beschäftigen. In ihrem zusammen mit Till Schauder realisierten Film verwebt sie beides auf zwei verschiedenen Erzählebenen und Zeitachsen. Der eine Strang folgt ihrem Bemühen, an der Seite ihres Vaters die Gemälde aufzuspüren. Der andere ist deutlich emotionaler angelegt und skizziert chronologisch die Lebensgeschichte der Eltern, deren Beziehung in das Getriebe der politischen Ereignisse geriet und daran zerbrach.
Nicky Nodjoumi, der als aktiver Gegner des Schah-Regimes inhaftiert und von der Geheimpolizei verhört wurde, lebte mit seiner Ehefrau, der Künstlerin Nahid Hagigat, eine Zeit lang in New York, bevor ihn die Revolution 1979 zurück in den Iran trieb. Die Hoffnung auf eine neue Zukunft wurde durch die totalitäre islamische Führung aber bald zerschlagen, was Nodjoumi mit einer Verurteilung zu 100 Peitschenhieben auch am eigenen Leib erfahren musste.
Viele „Genres“ und jede Menge Stoff
Der Film ist vielerlei: investigativer und politischer Thriller, Exilgeschichte, Familiendrama, Künstlerporträt. Es stecken mehrere Ansätze und Genres in „A Revolution on Canvas“ – und eine Menge Stoff. Diese Fülle schlägt sich auch formal nieder. Mit Musik unterlegte Familienfotos, Nachrichtenbilder, Jahreszahlen, Atelierszenen, bei denen unter anderem mit einer Drohne durchs Fenster gefilmt wurde, Interviews mit Nickzad Nodjoumi und Nahid Hagigat sowie Off-Töne von Kurator:innen und Museumsleuten schichten sich aufeinander. Den Konventionen der auf Tempo getrimmten Fernsehdokumentation fallen allerdings auch die Kunstwerke von Nickzad Nodjoumi zum Opfer. Sie werden so kurz eingeblendet, dass sich nur ein Bruchteil ihrer Inhalte erfassen lässt.
Die Suche nach diesen Bildern gestaltet sich dramaturgisch etwas fahrig und sprunghaft. Die Regisseurin kontaktiert Menschen im Iran, deren Gesichter und Stimmen anonymisiert werden, und bittet sie um Mithilfe. Ein wenig waghalsig erscheint die Idee, unter falschem Vorwand ins Archiv zu gelangen und dort heimlich zu filmen. Als sich die Kontaktperson aus Angst vor Repressionen aus dem Film zurückzieht und der damalige Kurator sich einfach nicht mehr an die Ausstellung erinnern will, rückt das Vorhaben, an die vermissten Arbeiten zu gelangen, in immer weitere Ferne. Doch dann sind die Hürden plötzlich aus dem Weg geräumt und „Nicky“ Nodjoumi kann seine Werke in New York nach so langer Zeit wieder in Empfang nehmen.
Die Folgen des Exils
Stringenter gestaltet sich der persönliche Erzählfaden. Sara Nodjoumis hartnäckige Nachfragen bringen neben den individuellen Geschichten auch Strukturelles zum Vorschein: Von ihrem Ehemann im Stich gelassen, der sich ganz dem politischen Aktivismus verschrieb, sah sich Nahid Hagigat gezwungen, ihre Karriere als Künstlerin aufzugeben. Über seine Ehe hält sich der heute freundliche, fast sanftmütig wirkende ältere Mann bedeckt. Selbst als ihm seine Tochter ein Familienfoto nach dem anderen unter die Nase hält, schweigt er. Ob er sie denn vermisst habe, als er in den Iran zurückging, will die Tochter einmal wissen. Sein klares „Nein“ macht ihr sichtbar zu schaffen. Erst ein Foto seiner Eltern und Geschwister treibt ihm die Tränen in die Augen und bringt ihn schließlich doch zum Sprechen.