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Filmkritik
„Das Alter ist kein Ort für Weichlinge.“ Diesen Spruch soll sich US-Schauspielerin Bette Davis zum 70. Geburtstag auf ein Kissen gestickt haben. Sich aufs sanfte Ruhekissen zu legen, ist auch nichts für Toni, die sich, an der Krücke laufend und Kette rauchend, in eine Seniorenresidenz zur Reha einweisen lässt. Man könnte die Mittsechzigerin auch als knallharte Simulantin bezeichnen, die von den regelmäßigen Mahlzeiten, der Wassergymnastik und guten Luft (beim Balkon-Rauchen) gar nicht genug bekommen kann. Ihre Krücke zumindest lässt sie aus Versehen gerne mal in der Ecke stehen.
Und dann trifft man in solch einer Residenz auch noch wahre Prominenz: Tonis distinguierte Zimmernachbarin Helene ließ sich einst als Schauspielerin feiern. Jetzt hasst sie den Star-Kult um ihre Person. Den Rollstuhl benötigt sie ebenso wenig wie Toni ihre Krücke – ins Straucheln kommt sie dennoch: Seit sie von ihrer wiedergekehrten Krebserkrankung erfahren hat, will Helene sterben. Nicht schon wieder Chemo, ausfallende Haare, Schwächeanfälle – lieber zur Sterbehilfe in die benachbarte Schweiz.
Ein Road-Trip der reiferen Art
Unglücklicherweise fürchtet Helenes Karrieristen-Neffe die Konsequenzen in seiner katholischen Partei, sollte die Tante ihr unchristliches Vorhaben durchziehen. Deswegen verweigert er Helene nicht nur die Autofahrt in die Schweiz, sondern droht auch mit Entmündigung. Doch die alte Dame denkt gar nicht ans Parieren: Helene nimmt Tonis Angebot an, sie auf schnellstem Wege nach Zürich zu befördern. Dass Toni gar keinen Führerschein hat, dafür aber eine recht offene Auslegung der Verkehrsregeln, entdeckt Helene erst im Laufe dieses Road-Trips der reiferen Art.
Das Regie-Ehepaar Sabine Hiebler und Gerhard Ertl erzählte bereits 2011 im Film „Anfang 80“ von der Liebe im Alter, der ebenso aufs gesetztere Publikum zugeschnitten war wie jetzt „80 Plus“ (so der österreichische Originaltitel). Gemächlichkeit ist Tonis und Helenes Fahrgemeinschaft vom ersten Fehlstart über Geister(auf)fahrten bis zur illegalen Stau-Umrundung dennoch fremd. Schließlich geht es bei diesem Wettrennen gen Sterbehilfe darum, die Freude am Leben wiederzuentdecken – und eben nicht das Rollenspektrum alternder Schauspielerinnen zu wiederholen, das Helene für Toni einmal beschreibt: „Irgendwann sollte ich nur noch ‚alt und krank‘, ‚alt und dement‘ oder ‚alt und sterbend‘ spielen.“ Hier reiht sich die Erzählung in eine Linie von Filmen wie jüngst „Frau Stern“ oder „Hin und weg“ ein, in denen Menschen ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmen wollen und auf dem Weg dorthin allerhand lebenswerte Abzweigungen kennenlernen.
In „Toni und Helene“ liefern Tonis Party-Exzesse, die ständigen Polizei-Kontrollen sowie die extrem zufälligen Begegnungen mit dem hinterherfahrenden Neffen die dramaturgischen Spitzen eines Plots, der sich genau hier am unglaubwürdigsten anfühlt. Die Wahrscheinlichkeit, sich auf Autobahnen, Raststätten, Landstraßen und Gedenkevents ohne digitale Ortung ständig über den Weg zu laufen, oder besser zu fahren, sollte gegen null tendieren. Wenig lebensnah wirkt auch manch aufgefahrenes Klischee vor allem hinsichtlich Helenes Schicki-Micki-Angehöriger und deren zunächst tatsächlich fruchtender Versuche, die „geflohene Heiminsassin“ einer behördlichen Verfolgung zuzuführen.
Alter vor Logik
Die Inszenierung folgt dabei eher dem Motto Alter vor Schönheit oder Alter vor Logik. Auch fürs ältere Zielpublikum hätte man sich etwas mehr inszenatorische Raffinesse, zündende Dialoggefechte und etwas Variation in Sachen Road-Movie-Genre gewünscht, das ewig vom Weg als Ziel und der Wandlung von Schicksalsgefährten zu echten Freunden erzählt. „Toni und Helene“ besitzt dabei die auch nicht überraschende Buddy-Movie-Konstellation zweier höchst unterschiedlicher Senioren, wie sie bereits von Filmen wie „Das Beste kommt zum Schluss“ komödiantisch aufbereitet wurde. Christine Ostermayer als pikierte Helene und Margarethe Tiesel als vom Leben gezeichnete Selfmade-Frau Toni spielen diese sich gegen die Altersdiskriminierung stemmenden Frauen zumindest mit viel Herz und Würde. Das lässt „Toni und Helene“ immerhin von dem leben, wovon der Titel spricht: Einem gelungen konträr aufspielenden Frauen-Gespann, das gegen Ende mit einer emotionalen Wendung überrascht und das Herz immer am rechten Fleck hat.