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Filmplakat von 20.000 Arten von Bienen

20.000 Arten von Bienen

129 min | Drama | FSK 6
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Cocó (Sofía Otero) ist erst acht Jahre alt, aber bereits jetzt fühlt sie sich unwohl damit, den Erwartungen der Umwelt gerecht zu werden, ohne zu verstehen, warum. Alle bestehen darauf, sie als Aitor zu bezeichnen. Doch Cocó identifiziert sich weder mit diesem Geburtsnamen, noch stimmt ihr Selbstbild mit den Vorstellungen anderer überein. Währenddessen befindet sich Cocós Mutter Ane (Patricia López Arnaiz) in einer beruflichen und emotionalen Krise. In den Ferien beschließt sie, mit ihren drei Kindern ihre Mutter zu besuchen. Dort begibt sich Cocó auf eine Identitätssuche an der Seite der Frauen, die gleichzeitig über ihr eigenes Leben und ihre eigenen Wünsche nachdenken.
  • RegieEstíbaliz Urresola
  • ProduktionsländerSpanien
  • Produktionsjahr2023
  • Dauer129 Minuten
  • GenreDrama
  • AltersfreigabeFSK 6
  • IMDb Rating6.9/10 (2343) Stimmen

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Filmkritik

Es hat etwas von einer Flucht. Der Abschluss des Schuljahres fiel für die Eltern Ane und Gorka mit peinlichen Anrufen und Gesprächen zusammen, die zwar ihr jüngstes Kind betrafen, aber für alle ihre drei Kinder Auswirkungen haben. Ane reist deshalb zu Sommerbeginn mit den Kindern vom französischen Baskenland in ihr spanisch-baskisches Heimatdorf, das sie längere Zeit gemieden hat. In dem Ort hat sich wenig verändert. Die versteckten Hausschlüssel liegen immer noch dort, wo sie auch früher zu finden waren, kirchliche Feste werden so feierlich begangen wie eh und je, und Anes Mutter Lourdes wacht ebenso weiter über die Skulpturen ihres verstorbenen Mannes wie Tante Lita über ihre Bienen.

Von Vorteil ist, dass die Bekannten nicht so genau über die Kinder Bescheid wissen, weshalb Bemerkungen über das „hübsche kleine Mädchen“ ohne Widerspruch bleiben. Ganz anders als zuhause in Bayonne, wo das Verhalten des achtjährigen Kindes Aitor in der ohnehin kriselnden Ehe von Ane und Gorka zu einem weiteren Streitpunkt geworden ist. Wie sollen sie mit ihrem Sohn umgehen, der offenbar lieber ein Mädchen wäre?

Die Sache mit dem Namen

Das Kind sieht die Sache allerdings entschieden anders. Ihm missfällt nicht nur das Geschlecht, dem es zugeordnet ist; es lehnt auch den Namen Aitor für sich ab; der Spitzname Cocó wird nur in Ausnahmefällen akzeptiert, weil er nicht eindeutig männlich ist. An die langen Haare darf selbstverständlich niemand Hand anlegen, und der Wunsch nach Mädchenkleidung wird unterschwellig ebenfalls formuliert. Wie überhaupt männliche Attribute vehement zurückgewiesen werden, wenn auch hauptsächlich mit Trotz, denn das Kind ist sich seiner selbst alles andere als sicher. Abgelehnt wird vor allem das Vorbild des Vaters, der sich wenig einfühlsam zeigt und seine Familie vorerst gar nicht in das Dorf begleitet hat.

Aber auch das Zusammensein mit dem etwas älteren Bruder Eneko läuft nicht immer ohne Zank ab; instinktiv sucht es stattdessen die Nähe der erwachsenen Frauen, etwa die der Mutter, die sich an ihre Überzeugung „Es gibt keinen Jungs- und keinen Mädchenkram“ zu halten versucht, auch wenn ihre Toleranzbereitschaft zusehends schwindet. Oder die von Oma Lourdes, die auf ein friedliches Miteinander setzt und ihrem Enkelkind erklärt, dass Gott es perfekt geschaffen habe; gleichzeitig weist sie Ane aber an, dass Kinder Grenzen bräuchten. Und schließlich die der Imkerin Lita, die dem Kleinen die Welt der Bienen näherbringt und zum Vergleich mit der Familie einlädt. Damit, dass er gern die „Königin“ wäre, weiß aber auch die resolute Frau nicht ohne Weiteres umzugehen, obwohl sie dafür bekannt ist, „immer das zu machen, was sie will“.

Geschlechterrollen neu aushandeln

Die spanische Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren zeichnet in ihrem ersten Spielfilm eine Gemeinschaft, in der die Geschlechterrollen allgemein neu verhandelt werden. Die Männer erscheinen bestenfalls an den Rand gedrängt, repräsentieren aber eher rückständige Positionen. Die positivsten Signale gehen noch vom jungen Eneko aus, der sein jüngeres Geschwister durchaus unterstützt und offen ist für dessen Fragen nach der wahren Identität. Die übrigen Männer zeichnen sich hingegen in erster Linie durch Abwesenheit aus; Gorka ebenso wie der verstorbene Bildhauer, dessen Andenken das Verhalten seiner Witwe und seiner Tochter überschattet; Lourdes verdrängt weiterhin die Untreue des Verstorbenen, Ane hadert mit ihrer stagnierenden Karriere als Künstlerin. Und selbst der Heilige Johannes reiht sich in die Schar der Männer ein, auf die nicht mehr zu zählen ist. Seine Skulptur ist – zum wiederholten Mal – vom angedachten Platz gestohlen worden.

Angesichts der Unzuverlässigkeit der Männer werden die Frauen in „20.000 Arten von Bienen“ erst recht dazu gezwungen, ihr Leben von Grund auf in Frage zu stellen. Während Lourdes und Lita ihre vergangenen Entscheidungen hinterfragen, geht es für Ane in mehrfacher Hinsicht um einen Neuanfang. Die Zeit in ihrem Heimatdorf ist nicht allein ihrem jüngsten Kind gewidmet, sondern auch dem wohl letzten Versuch, es doch noch einmal als Künstlerin zu versuchen. Immerhin winkt eine Stelle als Dozentin, für die sie in der väterlichen Werkstatt ihre alten Arbeiten heraussucht und neue in Angriff nimmt.

Ein vielschichtiges Drama

Bei all dem steht die Identitätssuche eines Transkindes zwar im Vordergrund, doch Estibaliz Urresola Solaguren ist nicht dem Irrtum verfallen, dass ein Film über dieses Thema keine anderen Bereiche berühren dürfte. „20.000 Arten von Bienen“ ist ebenso das Protokoll von Anes Midlife-Krise wie eine Abrechnung mit einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft, aber auch das genau beobachtete Porträt einer Gemeinschaft zwischen Tradition und unvermeidlichen Veränderungen, darin nicht unähnlich der vielschichtigen Bauernfamilien-Studie „Alcarràs“ von Carla Simón.

Dass auch die Erwachsenen, selbst noch im vorgerückten Alter, mit ihrer Identität zu ringen haben, verflicht das Drehbuch geschickt mit dem Drama des Kindfes, das mühsam zu einer Persönlichkeit gelangt, mit der es sich wohler fühlt. Die Kamera von Gina Ferrer García unterstützt die Annäherung an eine bestimmte Perspektive, indem sie zwischen Kinderaugenhöhe mit entsprechend engeren Bildausschnitten und der größeren Entfernung bei den älteren Figuren wechselt. Einfühlsam beweist der Film auf diese Weise Verständnis für die verschiedenen Positionen, die sich nicht wie durch Zauberhand überwinden lassen; „20.000 Arten von Bienen“ ist alles andere als ein platter Aufklärungsfilm über die Integration von Transmenschen.

Ein Schritt weiter

Gleichwohl ist der Respekt der Regisseurin vor ihrer Hauptfigur äußerst bemerkenswert. Gestützt von der außerordentlichen Leistung der jungen Sofia Otero wie auch von dem komplexen Spiel der anderen Kinderdarsteller sowie der Profis in den Erwachsenenrollen, ist ihr Film sensibel, aufmerksam und großherzig in der optimistischen Hoffnung, die er seinen Figuren gönnt. Wo Alain Berliner in „Mein Leben in Rosarot“ (1997) vor fast 25 Jahren einen vergleichbaren inhaltlichen Ansatz noch in einer fast märchenhaften Stimmung auflöste, um die Intoleranz gegenüber einer Transidentität zu überwinden, hält „20.000 Arten von Bienen“ einen gesellschaftlichen Fortschritt fest, der durchaus realitätsnah vermittelt wird.

Ohne zu verschleiern, dass sich die Handlung in einem geschützten Territorium abspielt, in dem weder familiäre, noch religiöse, noch evolutionsabgeleitete Sichtweisen ein bösartiges Antlitz annehmen, muss „20.000 Arten von Bienen“ nicht eigens an die diffizile Bedrohungslage für Transmenschen durch Gewalt und rigide Gesetzgebungen in der Welt erinnern. Der individuelle Kampf der Hauptfigur, auch nur über ihren eigenen Namen mitentscheiden zu dürfen, ist allemal so plastisch und packend, dass er einem Aufschrei gleichkommt.

Erschienen auf filmdienst.de20.000 Arten von BienenVon: Marius Nobach (22.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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